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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut
Autoren: Colin Cotterill
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Kapitel 1
    »Familie ist, wo unsere Nation Hoffnung schöpft, wo Flügeln Träume wachsen.«
    George W. Bush
    LaCrosse, Wisconsin, 18. Oktober 2000
    D er alte Mel heuerte einen Neffen von Da an, den minderbemittelten mit der Delle in der Stirn, damit dieser ihm hinter dem Haus einen Brunnen aushob. Die Bewässerungsgräben, die seine Familie zwischen den Reihen der Ölpalmen ausgehoben hatte, reichten nicht bis zum hinteren Zaun, und die jungen Palmwedel wurden schon braun, bevor sie sich entfalten konnten. Seit einem Monat hatte es nicht geregnet. Zwei Wochen lang hatte Mel Gießkannen geschleppt, und langsam knackten seine Rückenwirbel wie Mah-Jongg-Steine. Deshalb also ein Brunnen, eine billige, chinesische Pumpe und ein halbes Dutzend Sprinkler, dann musste er nur noch einen Schalter drücken. Ölpalmen waren pflegeleicht, wenn man sie oft genug wässerte und alle drei Monate düngte. Zwanzig Bäume gerettet, ohne sich den Rücken zu ruinieren. Es war den Preis mehr als wert.
    So saß Mel also letzten Sonntag auf seinem Zaun und sah dem jungen Mann bei der Arbeit zu. Angesichts der Delle im Schädel des Neffen fragte sich Mel, ob er vielleicht eine Bocciakugel an den Kopf bekommen hatte. So groß war die Delle. Aber er beschloss, lieber nicht nachzufragen. Er wusste, dass die Antwort lang und feucht ausfallen würde, dass sein Neffe aufhören würde zu arbeiten, weil er nicht zwei Sachen gleichzeitig machen konnte. Also saß Mel nur da und beobachtete ihn beim Graben. Er hätte ein bisschen mit anfassen können, um ihm die Arbeit zu erleichtern, aber Old Mel vertrat die Ansicht, man solle sich keine Ziege leihen und dann selbst meckern.
    Die bewährte, südthailändische Methode, einen Brunnen auszuheben, wäre in westlichen Ländern sicher nicht erlaubt, da dort bestimmte Vorstellungen von »Qualität« und »Sicherheit« eine entscheidende Rolle spielten. Vier Betonrohre von je einem Meter Länge lagen dort. Der Neffe sollte ein Loch graben, das breit und tief genug war, eines davon aufzunehmen. Dann würde er in das Loch springen und das Erdreich unter dem Rohr herausschaufeln. Wie ein sehr langsamer Fahrstuhl würde es sich in die Erde absenken. Sobald der obere Rand auf Höhe des Feldes war, käme das zweite Stück Rohr obendrauf, und das Ausheben konnte weitergehen. Der Boden war eine Mischung aus Erde und Sand, und sobald man das unentwirrbare Wurzelwerk hinter sich hatte, fiel das Graben nicht mehr schwer. Mit etwas Glück bekam man erst Probleme, wenn das dritte Rohrstück aufgesetzt wurde und das Wasser anstieg, was die Grube in ein Schlammbad verwandelte. Bis das vierte Segment auf gleicher Höhe mit dem Feld war, würde der arme Kerl die Hälfte seiner Zeit in trübem, braunem Wasser stehen.
    An diesem trockenen Samstagmorgen jedoch wollte sich der Brunnen nicht ausheben lassen. Schon auf Hüfthöhe traf der Neffe mit der Hacke auf etwas Festes. Ein lauter, metallischer Gong vertrieb die schreckhaften Drongos aus den Bäumen. Eidechsen huschten unter Steinen hervor. Offenbar hatte der Neffe seinen Spaß daran, denn er schlug noch dreimal zu, bis Mel ihn überreden konnte, damit aufzuhören. Der alte Mann kletterte von seinem Zaun, hakte seine Zehen in die Sandalen und schlenderte zur Grube hinüber. Am Betonrand blieb er stehen und blickte auf die Füße seines Arbeiters hinab, zwischen denen überraschenderweise etwas Rostiges zu sehen war.
    »Das kann nicht groß sein«, sagte Mel. »Wahrscheinlich der Deckel von einem Fass. Such den Rand. Dann kannst du die Hacke drunterschieben und das Ding anheben.«
    Leicht gesagt. Der Neffe stocherte und bohrte, doch alle Versuche brachten nur dasselbe blecherne Geräusch. Es gab keinen Rand. Vielleicht reichte das Ding sogar vom Golf von Thailand bis zum Andamanen-Meer und war mit einer der Kontinentalplatten verbunden. Mel konnte nichts anderes denken, als dass diese Metallplatte zwischen ihm und seinen Rückenschmerzen stand. Er würde nicht kampflos aufgeben, und wenn es die Erde aus dem Lot brachte. Er ging zum Zaun, nahm eine stabile, schwarze Brechstange und hielt sie dem Jungen hin.
    »Hier, nimm!«, sagte er. »Brich es auf!«
    Ratlos starrte der Neffe das Werkzeug an. Es war nicht zu übersehen, wie schwerfällig sich die Rädchen in seinem Kopf drehten. Langsam wurde die Brechstange in Mels Hand schwer.
    »Ich werde nur fürs Graben bezahlt«, sagte der Neffe schließlich. »Von Brechen hat mir keiner was gesagt. Das ist ein Job für einen Fachmann,
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