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Grafeneck

Titel: Grafeneck
Autoren: Rainer Gross
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Vielleicht ein Racheakt. Vielleicht hat ihm einer ein Kreuz aufgemalt und wollte, daß es ihm genauso geht wie den Behinderten, die er vergast hat.«
    »Wer könnte das getan haben?«
    »Herr Kommissar, das weiß ich wirklich nicht.«
    Greving nickt. Die ballistische Untersuchung wird zeigen, ob sie die Tatwaffe bereits gefunden haben. Mehr wird nicht herauszubekommen sein. Wer damals vor fünfzig Jahren, ja, fünfzig Jahre sind es nun tatsächlich, wer damals aus Haß oder Wut eine Hinrichtung inszeniert hat, das werden sie nicht mehr klären können. Wer daran beteiligt war und heute noch lebt, wird den Mund halten. Das ist klar.
    »Fällt Ihnen sonst noch etwas dazu ein?« fragt er Mattes und legt ihm die Hand auf die Schulter. Man hat so wenig Gesten, denkt er, um an dem anderen Anteil zu nehmen.
    »Hochstetter«, sagt Mattes erleichtert. Jetzt ist es heraus, und jetzt kann er sich wieder daran erinnern. All die Namen und Orte von damals, den Abgasgeruch der Busse, die Morgenkälte, den Steig durch den Wald hinauf zum Schloß. »Hochstetter ist manchmal mitgefahren, von Zwiefalten her. Ich weiß nicht, ob er mit Schumacher zusammengetroffen ist. Möglich wär’s schon. Obwohl er’s im Prozeß abgestritten hat. Hochstetter war ja Arzt. Da haben wir uns nichts dabei gedacht. Daß der seine eigenen Patienten ausgeliefert hat, hätten wir nie geglaubt. Nachweisen haben sie ihm nichts können.«
    »Hochstetter, sagten Sie? Wo wohnt der?«
    »In Hundersingen, soviel ich weiß. Wenn er noch lebt.
    Der müßte auch schon an die neunzig sein. Dr. Fritz Hochstetter.«
    »Vielen Dank. Sie haben mir sehr geholfen. Werden Sie Ihrer Frau davon erzählen?«
    »Ich weiß nicht. Nur eins weiß ich: Der Mauser hat recht gehabt. Deshalb habe ich ihn auch nicht angezeigt.«
     
    Mauser holt sein großes Taschentuch hervor und wischt sich die Augen. Schneuzt hinein. Er weiß gar nicht, was er denken soll. Die Geschichte hat sich aufgelöst. Sein Vater hat vermutlich einen Menschen erschossen, aber einen seiner Todfeinde. Einen Unrechtsvertreter. Einen, der es mehr als verdient hat. Der Kommissar würde ihn trotzdem verhaften, wenn er noch lebte. Mord verjährt nicht, und auch die Hinrichtung eines Jürgen Schumacher ist ein Verbrechen.
    »Warst dabei, Heinrich, ha?« Er faltet das Taschentuch zusammen und steckt es wieder ein.
    »Hab ich dir doch gesagt: nein.«
    »Woher weißt dann alles? Erzähl mir nichts.«
    »Der Gottfried Staudinger ist auch dabei gewesen. Kennst du den noch? Der ist vor zwanzig Jahren gestorben oder so.«
    »Und jetzt weißt bloß noch du was davon, was?«
    »Und der Hochstetter.«
    »Der Hochstetter? Ach was?«
    »Der war mit dem Schumacher gemeinsam unterwegs. Im Auto. Die waren doch alle am Abhauen. Eine Reifenpanne, das hatten die damals und sind in den ›Pflug‹ gekommen, um zu telefonieren. Da haben die drei sie gesehen. Dein Vater hat gleich gewußt, wer die waren. Angepöbelt haben sie die, und dein Vater hat die Pistol aus der Jackentasche gezogen. Es war nicht seine Dienstpistole. Draußen im Flur. Das hat niemand mitbekommen. In den Wald, da haben sie die dann hingebracht.«
    »Den Hochstetter auch?«
    »Den auch.«
    »Das war’s also, was er mir verschwiegen hat. Das war’s, wo ihn mein Vater mit der Pistol bedroht hat. Aber sag: Da hätt man ja Augenzeugen dafür gehabt, daß der Hochstetter doch mit dem Schumacher zusammengekommen ist. Wieso haben die nicht im Prozeß gegen Hochstetter ausgesagt?«
    »Denk doch nach! Dann hätten sie’s ja zugeben müssen, daß sie was mit dem Verschwinden vom Schumacher zu tun haben. Das ist schön geheim geblieben.«
    »Lauter Geschichten«, sagt Mauser nachdenklich. »Hängen alle miteinander zusammen. Wenn nur einer das Maul aufgemacht hätt.«
    »Was dann passiert ist, das weiß man nicht. Einer von den dreien, der ist weggegangen, wie der Schumacher am Boden gekniet ist, und dein Vater hat beide in Schach gehalten. Der Staudinger, der ist dann dageblieben. Einen Schuß hat man dann gehört.«
    »Du weiß also nicht, wer geschossen hat?«
    Waltz schüttelt den Kopf, lächelt Mauser aufmunternd zu.
    »Dein Vater hat da mal so was gesagt, wie sie dem Schumacher den Anzug angezogen haben. Das Kreidekreuz hinten draufgemalt. Ein Lump soll den andern richten oder so. Man weiß nicht, wer’s am Schluß war.«
    »Weißt, was sie mit der Leich gemacht haben?« Nun, da sie mitten in der Geschichte sind, erwacht so etwas wie Neugier in Mauser. Es läßt sich
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