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Grafeneck

Titel: Grafeneck
Autoren: Rainer Gross
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kritisch, er liege noch auf der Intensivstation, eine Vernehmung komme nicht in Frage.
    »Sagen Sie mir bitte Bescheid, sobald sich sein Zustand ändert«, sagt Greving, wie es Kommissare so machen, und reicht seine Karte hinüber. Auf die Rückseite schreibt er die Nummer vom »Pflug«. »Meine Handynummer steht auch darauf.«
    »Sie haben recht gehabt«, sagt Waiblinger. »Wir sind zu spät.«
    »So wie es aussieht, sogar ganz zu spät. Hätten wir den Namen nur ein paar Tage früher erfahren.«
    Waiblinger nickt und biegt an der Kreuzung in Ortsmitte nach links.
    »Und Sie? Haben Sie sich endlich aus dem Kopf geschlagen, daß Mauser etwas mit dem Toten zu tun hat?«
    »Ha, hören Sie! Etwas hat der ja doch damit zu tun: Dem sein Vater hat ihn erschossen.«
    »Hören Sie auf, Waiblinger. Die Tatwaffe hat Mausers Vater gehört, das ist aber auch alles.«
    »Und warum hat er den Fund nicht gleich gemeldet, wie sich’s gehört?«
    Und warum hat er die Kugel mit dem Metallsuchgerät gefunden? Warum hat er die Tatwaffe unterschlagen? Warum hat er die Arbeit der Polizei behindert? Warum wollte er die Geschichte selbst auflösen, auf eigene Faust? Das ist doch alles verständlich, denkt Greving. Ich will die Geschichte ja auch auflösen. Ich will ja auch derjenige sein, der am Schluß die Fäden in der Hand hält. Nein, das nehme ich ihm nicht übel. Und ich werde auch nichts gegen ihn unternehmen. So wies aussieht, lösen wir das Ganze sowieso nicht endgültig auf. Ein Rest bleibt, wie immer.
    »Lassen Sie mich hier raus«, sagt Greving an der Einmündung in die Talstraße in Marbach. Der Ort besteht aus nicht mehr als dem Gestüt, Werkstätten und einem Gasthof.
    »Wo wollen Sie denn hin?« fragt Waiblinger erstaunt.
    »Ich will mir ein wenig die Pferde anschauen.«
    »Und wie kommen Sie zurück nach Buttenhausen?«
    »Hier wird doch ein Bus fahren, oder nicht?«
    Er sieht dem Streifenwagen nach, wie er die Straße entlangfährt und hinter der nächsten Biegung des Tales verschwindet. Pferde haben ihn immer angezogen. Er mag den Geruch nach Stall, das Scharren der Hufe, die großen Tiere mit den mächtigen Köpfen, denen man sich vorsichtig nähern muß. Sie haben alle ihren eigenen Charakter. Wie Menschen. Manche haben ängstliche Augen, zucken zurück vor Fremden, manche sind neugierig und drängen sich ans Gatter, manche sind feinsinnig und werfen die Köpfe hoch, daß die Mähnen flattern. Man muß sie kennenlernen, wie Menschen.
    Hier in Marbach werden Sportpferde gezüchtet, weiß Greving. Berühmt ist das Gestüt für seine Araber. Am schmiedeeisernen Tor das Wappen, ein M mit einer Hirschgeweihstange darüber. Durch das Tor tritt Greving in den Innenhof. Der Brunnen trägt eine Statue auf einer Säule, Stute mit Fohlen, das Wasser läuft beruhigend und melodisch. Zwei Mädchen putzen das Riemenzeug in der Scheune. Zu den Ställen geht es wie im Zoo ins Raubtierhaus, ein Backsteingang und Tiergeruch und die Boxen mit dem weißen Licht in den Fenstern. Schilder hängen am Gitter mit den Fütterungsanweisungen. Eine Extraration Mais, nur die halbe Portion Heu, bei manchen steht »Pilz« oder »Bürste 2«. Die Tiere kümmern sich wenig um den Besucher.
    Greving schreitet den Gang ab und freut sich an den Geschöpfen mit den großen Augen und den winkenden Schweifen. Er streicht über die Nasenrücken oder tätschelt die Flanken. Als er wieder ins Freie tritt, ist er ruhig geworden. Er hat einen sonderbaren Frieden gefunden hier bei den Tieren. Sie werden gehegt, sinniert er. Zwar werden sie für eine Aufgabe gezüchtet und müssen an Arbeit gewöhnt werden, aber trotzdem geschieht alles mit einer umfassenden Schonung, wie in einem Tiergarten. Es kommt ihm vor wie ein Park, in dem er sich ergehen und verlieren kann. Im alten Futterhaus, einem mächtigen Holzkasten mit mehreren Stockwerken, schlüpfen die Vögel und tun sich am Korn gütlich. Der Weg führt zwischen Weidegattern entlang bergauf.
    Auf einer Aussichtsbank setzt Greving sich nieder, der Blick geht übers Gestüt und übers Tal, er sieht Autos die Straße entlangfahren und Menschen stehen am Kiosk. Im Sommer gibt es hier sicher einen Badeplatz am Fluß und barfüßige Kinder mit Eistüten in der Hand. Das Gras riecht frisch, die Buchen und Eschen knospen schon, Schlüsselblumen sind weithin über die Weide verstreut.
    Von hier aus ist er der Herde, die er aus dem Auto gesehen hat, näher. Er beobachtet sie. Der geraden Nase und dem Bau nach müssen es
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