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Grafeneck

Titel: Grafeneck
Autoren: Rainer Gross
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alles erzählen, herzählen wie eine Reihe von Fakten, alles stimmt zueinander und fügt sich, das Dunkle und Fremde ist verschwunden. »Wie sie sie in die Höhle gebracht haben?«
    Waltz zuckt die Schultern. »Davon weiß ich nix. Wie du die Leich in der Höhle gefunden hast, da habe ich mir gleich was gedacht. Die liegt ja direkt darunter. Und wie es dann um die Nazi-Zeit ging, ist mir aufgegangen: Das kann nur der Schumacher sein.«
    »Und du hast mir’s gesagt, damit ich weiß, was mein Vater wirklich gemacht hat, oder nicht?«
    Waltz nickt. »Du hast vor den Leuten mit der Pistol herumgefuchtelt …«
    »Was wirst dem Kommissar sagen, wenn der mit dem Bild kommt?«
    »Nix. Ich weiß von nix.«
    »Wenn du nicht dabei warst, kannst’s ihm doch ruhig sagen.«
    »Ja, wenn.«
    »Vielleicht tut der Hochstetter doch noch ’s Maul auf«, sagt Mauser und trinkt seinen Schoppen leer.

17
    Waiblinger startet den Motor und fährt auf die Hauptstraße hinaus. Greving sitzt neben ihm, im Sitzen drückt ihn sein Pistolengurt. Schon eine merkwürdige Sache, denkt er, das mit den Waffen. Unsereiner läuft damit herum, als wär’s ein Dosenöffner, und nach fünfzig Jahren wird so eine ein Museumsstück, das man ausdeutet und analysiert und das einem eine Geschichte erzählt. Er holt den Untersuchungsbericht aus dem Aktenkoffer und liest ihn noch einmal durch. Die ballistische Untersuchung hat zweifelsfrei ergeben, daß das über der Höhle gefundene Projektil aus derselben Waffe stammt wie das Vergleichsprojektil, das sie aus Mausers P 04 abgefeuert haben. Die Pistole ist die Tatwaffe. Aber wer geschossen hat, ist damit noch nicht klar. Immerhin kennen wir jetzt wohl das Motiv, denkt Greving und bleibt mit dem Blick an den beiden Profilaufnahmen hängen. Zum Thema Rache kann uns Hochstetter etwas sagen. Da bin ich mir sicher. Der weiß was von damals.
    Waiblinger hat ihm erzählt, was man so über Hochstetter weiß. Arzt in Zwiefalten, von dem Prozeß gegen ihn, und der Verdacht, unter dem er stand. Und er lebt noch, denkt Greving und beißt die Zähne zusammen. Bei allen anderen kommen wir zu spät, die sind tot und können nichts mehr sagen. Aber Hochstetter wird uns die Geschichte erzählen.
    Er klappt den Bericht zu und verstaut ihn wieder in der Aktentasche. Nach Hundersingen ist es nicht weit, sie fahren über die Brücke, die die Lauter überspannt, der Kern des Ortes liegt am Talhang. Waiblinger sucht nach der Adresse und findet das Haus. Schon als sie heranfahren, ahnt Greving, daß das Haus leer ist. Das kann man Häusern ansehen, denkt er. Das da ist leer, wir sind wieder zu spät.
    Sie läuten ein paarmal, gehen um das Haus herum in den Garten, schauen durch die Verandatür. Nichts rührt sich da drin. Nur ein Stock lehnt am Sofa.
    »Wir kommen zu spät«, sagt Greving.
    »Wieso?«
    »Der ist weg.«
    »Sie meinen … abgehauen?«
    »Nein, dazu ist er zu alt. Ich denke, der ist in einem Krankenhaus.«
    Sie fragen bei den Nachbarn nach und erfahren, daß Hochstetter mit dem Notarzt geholt worden ist, vorgestern schon. Wohin sie ihn gebracht haben, weiß keiner.
    »Normalerweise wird so einer nach Münsingen transportiert«, meint Waiblinger. »Aber wenn’s besonders schlimm ist, werden die auch schon mal nach Reutlingen überführt.«
    »Dann fahren wir zuerst nach Münsingen.«
    Die Strecke führt sie an Marbach vorbei. Das schmiedeeiserne Tor des Gestüts steht offen, im Hof läuft ein Brunnen. Hinter den Stallungen zieht sich das Gelände eine Anhöhe hinauf, Pferdeweiden und Wetterbäume, einzelne Buchen und lichte Haine. Greving sieht eine Herde grasen, schweifwedelnd, ein fernes, regelmäßiges Winken wie von Märchengestalten herüber. Als wollten sie ihm etwas sagen. Gelassenheit und Freude drückt der Anblick aus. Am liebsten würde ich jetzt aussteigen und hinaufgehen, ans Gatter, und ihnen zusehen, denkt Greving. Waiblinger soll allein nach Münsingen fahren.
    Sie biegen ab und fahren eine Straße durch den Wald hinauf auf die Hochfläche. Rechter Hand sieht Greving ein Schloß liegen.
    »Ist das Grafeneck?« fragt er Waiblinger.
    Der nickt nur.
    Hier war das also, denkt Greving. Natürlich sieht man nichts mehr. Hier haben die Ofen gequalmt, daß es bis Marbach sichtbar war. Hier sind die grauen Busse mit Eugen Mattes hinaufgefahren. Muß ich mir einmal anschauen, bevor ich hier weggehe.
    In Münsingen erfahren sie, daß Fritz Hochstetter vorgestern eingeliefert worden sei, aber sein Zustand sei
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