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Grafeneck

Titel: Grafeneck
Autoren: Rainer Gross
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wichtig. Es gäbe endlich wieder einen anderen Menschen, mit dem er sich verständigen könnte.
    Vielleicht habe ich die Tat meines Vaters zu meiner gemacht, denkt er.
    Die Suppe ist fertig. Veronika schneidet eine Scheibe Brot vom Laib, schöpft die Suppe in einen Teller, stellt ihn Mauser hin. Einen Löffel dazu.
    »Das tut gut jetzt«, sagt er.
    Er beginnt zu löffeln, die Suppe ist heiß und dick, er bläst darauf, bevor er den Löffel in den Mund nimmt.
    * Veronika setzt sich neben ihn an den Tisch und schaut ihm zu.
    Während er die Suppe ißt, will er ihr erzählen. Von dem Leichenfund und dem Gefühl, das er in der Höhle hatte: daß das mit seinem Vater zu tun habe. Von seinen eigenmächtigen Untersuchungen, dem Fund der Kugel, dem Verdacht, daß sein Vater ein Behindertenmörder sei. Von den grauenhaften Stunden am Mikroskop, allein in der Schule. Von seinem Besuch bei Hochstetter und der Pistole, von seiner Begegnung mit Eugen Mattes. Von den Gesprächen mit Waltz und der Geschichte, die noch nicht zu Ende erzählt ist. Von seinem Gespräch mit Greving und daß er alles gestanden hat. Von der ballistischen Untersuchung. Aber er tut es nicht. Dann sind der Teller und der Topf leer.
    Mauser hat die ganze Zeit auf den Teller geblickt. Jetzt schaut er auf und versucht, in Veronikas Gesicht zu lesen.
    Sie lächelt.
    Das ist das Fremdeste an ihr.
    Er sieht, daß sie ihn liebt. Daß es nicht notwendig ist, etwas zu erzählen.
    »Mich hat was umgetrieben«, sagt er.
    Sie lächelt immer noch.
    »Hast dir so was gedacht, gell?«
    »Ich weiß nicht, was ich gedacht habe«, sagt sie. »Ich habe nur gemerkt, daß du da mit was allein bist.«
    »Weißt über die Sach mit der Leich Bescheid?«
    »Waltz hat’s mir erzählt. Das mit Schumacher.«
    »Was hältst von der ganzen Sach?«
    Sie lächelt immer noch. »Das ist ja nicht zum ersten Mal passiert. Der Täter hat sicher gehandelt, wie er handeln mußte. Ich verstehe seine Tat, auch wenn es vielleicht Unrecht war.«
    »War es denn Unrecht?«
    »Das muß jeder für sich selber entscheiden.«
    »Eigentlich ist es egal. Was weiß einer schon davon, was in Menschen vorgeht? Was weiß einer schon von der ganzen Geschichte?«
    »Ich denke, das ist es eben: eine Geschichte. Wir können nichts mehr daran ändern.«
    »Manchmal, da versuch ich mir vorzustellen, wie es dem Schumacher gegangen ist. Was den dazu gebracht hat, so was zu machen. Aber, ich weiß nicht …«
    Sie beugt sich vor und nimmt seine Hand.
    Er legt seine darüber und tätschelt sie.
    »Gut, daß ich heut gekommen bin.«
     
    Auf dem Weg zu Mausers Haus klingelt Grevings Handy. Er holt es hervor und drückt die grüne Taste. Es ist das Krankenhaus in Münsingen. Bevor er noch die Meldung erhält, weiß er es schon. Hochstetter ist tot. Er ist nur noch einmal wach geworden, hat aber nichts mehr gesagt. Greving bedankt sich und steckt das Handy weg. Schüttelt den Kopf.
    Das war der Letzte, denkt er. Der hätte uns noch was zu sagen gehabt.
    Er bleibt stehen und schaut die Straße entlang, bis hinauf auf den Talhang. Oben beginnt der Wald. Aus dem Schornstein des Hauses steigt Rauch.
    Jetzt sind die Tage vorbei, denkt er. Die Untersuchung ist abgeschlossen.
    Mauser entdeckt er in seiner Werkstatt, die Türen stehen offen. Mauser steht da mit dem Helm in der Hand.
    »Hallo, Herr Mauser«, sagt er und hebt grüßend die Hand.
    »Grüß Gott, Herr Kommissar. Wollen Sie zu mir?«
    Greving nickt. »Ich wollte mit Ihnen noch einmal sprechen. Bevor ich hier die Zelte abbreche.«
    »Sie gehen schon? Ist der Fall denn abgeschlossen?«
    »Kriminologisch gesehen ja. Wir haben die Tatwaffe, kennen das Opfer, haben einen möglichen Täter und das Motiv. Wie es genau war, werden wir nicht erfahren.«
    »So? Ja, wieso denn nicht?«
    »Da gab es noch einen Mann, der hätte uns vielleicht weiterhelfen können. Einen Fritz Hochstetter aus Hundersingen.«
    Mauser horcht auf. Hat Waltz vielleicht dem Kommissar doch etwas erzählt?
    »Hochstetter?«
    »Ja, er war Leiter des Landeskrankenhauses in Zwiefalten. Man hat ihm nach Kriegsende vorgeworfen, seine eigenen Patienten nach Grafeneck ausgeliefert zu haben.«
    »Kenn die Geschichte«, sagt Mauser. »Und der soll etwas mit dem Schumacher zu tun haben?«
    »Eugen Mattes hat da etwas angedeutet. Er soll mit Schumacher zusammengearbeitet haben. Vielleicht war er in die Geschichte damals verstrickt. In die Hinrichtung.«
    Mauser grinst. Immer wieder verblüfft ihn dieser Kommissar.
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