Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Grafeneck

Titel: Grafeneck
Autoren: Rainer Gross
Vom Netzwerk:
Obwohl er so wenig in Händen hat, findet er immer wieder die Spur. Wie ein Jagdhund. Einen sechsten Sinn hat der, der holt aus uns noch das letzte bißchen heraus.
    »Und? Wollen Sie den nicht noch befragen?«
    »Das würde ich gern tun. Aber ist tot. Gestorben im Krankenhaus.«
    »Der ist im Krankenhaus? Ja wieso das denn?«
    »Herzanfall.«
    Mauser sieht sich vor der Tür von Hochstetters Haus stehen, sieht das Gesicht wieder vor sich, über das ein Schatten huscht. Bin ich daran schuld? fragt er sich. Ich hätte ihn schonen sollen. Aber es ist nicht meine Sache, auf dem seine Gesundheit aufzupassen. Das hat er selber tun müssen. All die Jahre. Den soll seine Schuld ruhig zerfressen haben.
    »Sie haben ihn auch gekannt, oder?« fragt der Kommissar. Dem entgeht nichts.
    Mauser nickt.
    »Lassen Sie nur, Herr Mauser«, sagt Greving und winkt ab. »Ich lasse das Untersuchen bleiben. Der Fall ist abgeschlossen.«
    »Sie sind aber schnell zufrieden.«
    »Zufrieden bin ich, ja da haben Sie recht. Ich bin zufrieden, hier gewesen zu sein. Nur eines würde mich vielleicht noch interessieren.«
    »Wie die Leich in die Höhle gekommen ist.«
    »Stimmt. Haben Sie sich das auch gefragt?«
    Mauser zuckt die Schultern. Das ist jetzt nicht mehr wichtig. »Irgendwie wird es schon zugegangen sein. Ein zweiter Eingang, der verschüttet wurde. Eingeflossener Höhlenlehm, der den Zugang verplombt hat. Eine Erklärung gibt es immer.«
    »Aber der Lehm muß um die Leiche herumgeflossen sein. Erinnern Sie sich, wir haben keine Spuren auf dem Anzug gefunden.«
    Wieder hebt Mauser die Achseln. »Es ist so passiert. Ich mein, wir haben ja die Tatsachen. Da ist nichts Rätselhaftes mehr dran.«
    Greving lächelt. »Sie haben recht. Aber man will eben doch so viel wie möglich von der Geschichte wissen. Will sie aufklären. Warum eigentlich?«
    »Es ist Ihr Beruf.«
    »Nicht nur das. Sie wollten die Geschichte doch auch aufklären. Warum?«
    »Weiß auch nicht. Das ist etwas Unbekanntes, das plötzlich ins Leben tritt, eine Ungestalt, die wir nicht kennen. Das müssen wir deuten. Können das nicht so stehen lassen. Das nimmt einem den Frieden im Leben.«
    »Sagen Sie, Herr Mauser, Sie kennen doch Grafeneck. Ich meine, Sie waren schon dort.«
    »Natürlich.«
    »Ich wollte mir den Ort noch einmal ansehen, bevor ich fahre. Würden Sie mitkommen?«
    »Wissen Sie was«, sagt Mauser und stellt seinen Helm auf der Sitzbank des Motorrads ab. Wendet sich um und holt einen zweiten Helm von einem Schrank herunter. »Fahren Sie mit mir. Hier«, sagt er und streckt Greving den Helm entgegen. »Das wird reichen. Es ist ja warm.«
    Greving weiß nicht, was er sagen soll. Auf einem Motorrad ist er schon lang nicht mehr gesessen.
    Er nimmt Mauser den Helm aus der Hand.
    »Bin ein vorsichtiger Fahrer«, sagt Mauser und grinst.
    »Bin ein mutiger Mitfahrer«, sagt Greving und setzt sich den Helm auf. Mauser nimmt die Maschine vom Ständer, schiebt sie hinaus und startet den Motor. Dann stellt er sie auf den Seitständer, schließt die Werkstattüren und sitzt auf. Greving schwingt sein Bein über die Sitzbank und nimmt hinter Mauser Platz. Er legt die Hände leicht an Mausers Hüften.
    »Sie kennen sich aus«, sagt Mauser. »Haben Sie früher selber eine gehabt?«
    Beim ersten Anfahren und Schalten tickt Greving mit dem Helm gegen Mausers Helm. Er spürt den warmen Wind an seinem Anzug, die Hosenbeine flattern. Mauser fährt auf die Talstraße hinaus und gibt Gas. Greving drückt es nach hinten. Mauser schaltet weich, die Maschine federt und schaukelt ein wenig.
    Eigentlich ein schönes Gefühl, denkt Greving. Warum habe ich das aufgegeben? Die Maschine strahlt Sicherheit und Ruhe aus. Greving spürt die Windwirbel, die sich an der Scheibe der Verkleidung bilden.
    Es geht durch Wasserstetten und Dapfen hindurch, dann kommt das Gestüt in Sicht. Mauser biegt ab, wie Waiblinger gestern abgebogen ist. Das Schloß liegt oben auf seiner Anhöhe hinter Bäumen, verwunschen in einem grünen Schimmer.
    »Da oben hat es ein Mahnmal«, ruft ihm Mauser durchs offene Visier zu.
    Mauser biegt noch einmal ab und fährt die schmale Straße auf den Wald zu. In den Kehren wird es Greving ein wenig mulmig, aber Mauser hält das Motorrad sicher in der Schräglage. Oben angekommen, stoppt Mauser am Beginn der Allee. Stellt den Motor ab.
    Greving steigt herunter, seine Knie zittern ein wenig.
    »Hat es Ihnen gefallen?« fragt Mauser.
    »Es hat ein bißchen Mut gekostet«, sagt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher