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Grafeneck

Titel: Grafeneck
Autoren: Rainer Gross
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gefesselt, mit Handschellen. Eine Farce, das Ganze. Eine obszöne Inszenierung. Ein zynisches Ritual, der Mauser hat es sich ausgedacht, und ich habe die Pistole genommen, immer noch mit der Mündung an meiner Schläfe. Genommen, den Griff gespürt, den Finger auf den Abzug gelegt. Schieß!
    Gezittert habe ich. Noch nie eine Waffe in der Hand gehabt.
    Noch nie einen Menschen getötet.
    Und abgedrückt.
    Der Knall. Mitten in der Waldstille.
    Die Waffe ruckt in der Hand wie ein Tier.
    Aufgesetzter Schuß. Das Blut hat gespritzt.
    Pulvergeruch.
    Der Mann fällt um, ins Laub, wie ein Sack.
    Er sieht die Bilder vor sich und hört dazu eine Trommel dröhnen, tief in seiner Brust, ein mächtiges Wummern und Donnern, das die Bilder überdeckt.
    Man hat mir die Waffe aus der Hand genommen. Mich laufen lassen. Ich sollte nur der Täter sein. Ich bin der Täter.
    Hochstetter schlägt die Tür zu. Stützt sich schwer auf seinen Stock. Schleppt sich ins Wohnzimmer, fällt auf das Sofa. Das Herz dröhnt und windet sich, er keucht, schnappt nach Luft. Herzanfall, denkt Hochstetter. Greift zum Telefon.
    Draußen steht Mauser und weiß nicht, was er tun soll. Er weiß nichts von dem Herzanfall, hat nur in Hochstetters Gesicht gesehen, wie etwas darüberhuschte, ein Schatten, ein innerer Kampf. Eine Zeit lang steht er so und horcht, ob drinnen etwas zu hören ist.
    Er hat nicht erfahren, was er wissen wollte. Zuckt die Achseln. Muß ich ein andermal wiederkommen. Ich krieg’s noch raus, denkt er. Dreht sich um und geht zurück zu seiner Maschine.
     
    Nachdem er den Unterricht für morgen vorbereitet hat, geht Mauser in den »Pflug«. Dort sitzt er gern an einem Tisch in der Ecke, schaut zu, wer noch hier ist, wer hereinkommt, hört den Gesprächen zu, trinkt seinen Schoppen Wein. Diesmal sitzt an dem Tisch der Heinrich Waltz. Mauser setzt sich dazu. Die beiden schweigen, bis Mauser bestellt hat. Dann beugt sich Waltz vor und legt Mauser die Hand auf die Schulter.
    »Hermann, wie geht’s?«
    »Täusch ich mich, oder gucken mich die Leute hier dumm an?« fragt Mauser.
    Waltz zuckt die Schultern. »Kann schon sein.«
    »Hat der Waiblinger es rumerzählt?«
    »Das mit der Pistol? Kann schon sein.«
    Mauser nippt an seinem Schoppenglas. Dann holt er umständlich das Etui mit den Zigarren hervor. Holt sich den Aschenbecher heran. »Tut mir leid, ich war ziemlich durcheinander.«
    »Das mußt du dem Eugen Mattes sagen, nicht mir.«
    »Das werd ich auch. Übrigens, hat dir der Kommissar das Bild schon gezeigt?«
    »Das Bild? Was für ein Bild?«
    »Eine Rekonstruktion von der Leich. Die haben Möglichkeiten, das glaubt einer nicht. Sieht richtig lebendig aus.«
    »Ja, stimmt, davon habe ich gehört.«
    »Der Waiblinger läuft auch damit durchs Dorf. Irgendeiner wird ihn schon kennen, glaub ich.«
    Waltz hat immer noch seine Hand auf Mausers Schulter liegen. »Du, sag mal, das mit deinem Vater, daß er der Mörder sein soll und so, glaubst du das immer noch?«
    »Muß ich ja wohl.« Mauser gibt sich verschlossen. Darüber will er nicht mehr reden. Es ist immer noch angenehm leer in ihm. Er hat die Pistole abgegeben und damit die Vergangenheit. Wie er mit dem Wissen leben soll, weiß er nicht.
    »Du, ich hätte da was, das ich dir gern zeigen würde. Über die Leich. Das hilft dir vielleicht.«
    Mauser kneift Daumen und Zeigefinger in die Augenwinkel. Reibt sich die Stirn. »Bin vollkommen fertig«, sagt er leise. »Ich war bei Hochstetter, aber der sagt nichts. Der will das wohl mit ins Grab nehmen, die feige Sau.«
    »Das kann ich mir denken.«
    »Was hast denn zum Zeigen?«
    »Einen Zeitungsausschnitt. Hier«, und kramt aus der Tasche einen Zettel heraus. Gilbes Zeitungspapier, zusammengefaltet. Waltz schiebt ihm den Zettel hin. »Schau dir das mal an.«
    Mauser nimmt ihn und faltet ihn auseinander. Waltz schaut sich um, ob sie jemand dabei beobachtet. Der Wirt bedient an einem der Tische, ein Ehepaar ißt Schnitzel, drei spielen Karten. Mauser legt den Ausschnitt auf die Tischfläche und streicht ihn glatt.
     
    Greving sieht schon von weitem, daß Eugen Mattes vor der Scheune Holz hackt. Der Fliederbusch an der Ecke ist noch kahl, eine Katze streicht um die Scheunentür. Von Haus zu Haus ist er gegangen, hat geläutet, sich in die Stuben führen oder an der Haustür abfertigen lassen, hat das Bild gezeigt. Kopfschütteln. Immer wieder. Ist auch kein Wunder, hat er sich gedacht. Die ganz Alten, die vor fünfzig Jahren schon gelebt haben
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