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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns
Autoren: David Jimenez
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Für Carmen
|9| Einleitung
    Meine liebste Ecke in der Redaktion von
El Mundo
war der Telexraum, ein kleines, vergessenes Kabuff im ersten Stock des alten Madrider Stammhauses der Zeitung. Ich war fasziniert von den Abertausenden Geschichten, die lärmend aus den Fernschreibern ratterten, abgeschickt von Reportern, die mir wie Korsaren des Journalismus vorkamen, tollkühne Globetrotter, die ihr Leben an außergewöhnlichen Orten aufs Spiel setzten und große Abenteuer bestanden. Es war gewöhnlich Maria, die diese Papierschnipsel zu kleinen Häuflein ordnete, um sie dann mit einem Lächeln wie Fast-Food-Bestellungen an die einzelnen Ressorts zu verteilen: ein Erdbeben hier, eine politische Abdankung dort, und, ach, hier noch etwas für die Kollegen von der Internationalen Politik, Eilmeldung von einem Staatsstreich …
    Da ich Volontär war, bestraften meine Chefs meine unverschämten Kommentare, indem sie mich in den Telexraum schickten, um die Tickermeldungen zu holen und Maria den Gang zu ersparen. Nichtsahnend nährten sie damit meine Marotte, absurde Meldungen zu sammeln, die sich nach und nach zu einer wahren Manie auswuchs. Wenn die surrealsten dieser Fernschreiben nie bei den Ressortchefs ankamen, dann deshalb, weil sie ganz hinten in meiner Schreibtischschublade verschwanden, mit Titeln wie »Mit Affen verwechselt: Frau tötet Ehemann in Indien«, »Blinder fuhr 15 Jahre ohne Strafmandat«, oder »Sex mit Huhn: Mann stürzt in Schlucht«.
    |10| Die Wände des Fernschreiberraums waren mit einer riesigen Weltkarte und alten Titelseiten der Zeitung mit großen Exklusivberichten geschmückt. Es war Frühling 1998, und ich sammelte gerade die letzte Meldung für meine Kollektion ein, als ich vor einer großen Titelseite innehielt, die zehn Jahre zuvor den Beginn des ersten Golfkriegs verkündet hatte. Schlagartig fiel mir auf, dass sich die wirklich wichtigen Dinge nicht in den Räumen dieser Redaktion abspielten. Ich betrachtete den bunten Flickenteppich von Ländern und Meeren auf der Weltkarte und suchte nach einem Ort, an dem die Zeitung noch keinen Korrespondenten hatte. Vorbei an Amerika, Europa, Afrika und dem Nahen Osten glitt mein Zeigefinger immer weiter gen Osten. Dort, in Fernost, hatten wir noch niemand.
    Kurz darauf betrat ich das Büro des Direktors und bot ihm an, in Asien ein neues Korrespondentenbüro der Zeitung aufzumachen – und hatte Erfolg. Am Vorabend meiner Abreise ging ich ein letztes Mal in die Redaktion, öffnete die Schublade, wo ich die skurrilen Fernschreiben aufbewahrte, und warf sie in den Papierkorb, überzeugt, dass ich von nun an endlich über das wirklich ernste und wichtige Geschehen auf dieser Welt berichten würde. Ich ahnte nicht, dass ich mich auf eine Reise begab, auf der ich nicht mehr auf bizarre Meldungen, sondern auf eine reale Welt stoßen würde, die häufig derart absurd und ungerecht war, dass in ihr Menschen wie die Protagonisten dieses Buches vorkamen – eine Welt, die auf ihrem atemberaubenden Weg nach vorn einen wichtigen Teil ihrer Menschen abgehängt hat.
    Dieses Buch will nicht die ganze Realität Asiens und seiner Völker abbilden und könnte das auch gar nicht. Asien ist viel zu groß, verschiedenartig und komplex, um es in Tausend Artikeln oder einem einzigen Buch zu beschreiben. Der Kontinent hat in den letzten Jahren die größte, schnellste und erfolgreichste Transformation in der Geschichte der Menschheit durchlebt, hat Hunderte Millionen Menschen aus der Armut geholt und der Welt gezeigt, dass man das Elend überwinden kann. Wenn ich mich dafür entschieden |11| habe, vom Leben jener zu berichten, die nicht auf diesen Zug der Chancen aufspringen konnten, sondern oft an den Rand gedrängt und ihrer Stimme beraubt wurden, so deshalb, weil auch ihre Geschichte, die voller Mut und Würde ist, erzählt werden muss.

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    |13| Kapitel 1
Vothy – Im Vorzimmer des Todes
    |15| M onsun: anstelle von vier Jahreszeiten zwei, die trockene und die feuchte.
    Das Haus, in dem ich auf meiner Reise Zuflucht suchte, auf einer riesigen Ebene ausgedörrter Erde, wirkt nun wie vom Wasser eines großen Sees umspült. Die Regenfälle haben die sterbende Landschaft welker Palmen und ausgetrockneter Reisfelder in das unwahrscheinliche Grün eines Aquarells getaucht. Der Fluss, der mich nach Süden bringt, war er nicht bis vor wenigen Monaten noch eine Piste aus Sand und Steinen? Da bereist man ein Land in der Trockenzeit
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