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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Autoren: Aufbau
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Himmel- oder Höllenfahrt.
    Goya starrte auf die Hände Doña María Luisas, wie sie seine Radierungen durchblätterten, die fleischigen, begehrlichen Hände, die er so oft gemalt hatte. Und er sah an den Fingern dieser Hände viele Ringe und unter ihnen den Lieblingsring Cayetanas. Er hatte den alten, sonderbaren, geschmäcklerischen Ring oft gesehen, gespürt, gemalt, er hatte sich oft über ihn geärgert und ihn oft sehr gerne gehabt. Daß er ihn jetzt an diesem Finger sah, machte ihm das Herz überbitter. Er hatte recht getan, die wüste, geile Häßlichkeit dieser Königin festzuhalten in den Caprichos; schon um ihrer Gemeinheit willen gegen Cayetana hatte sie es verdient.
    Das Gesicht der schauenden, schweigenden Königin war hart, aufmerksam, beherrscht. Und mit einem Male, und viel heftiger als vorher, überkam Goya Furcht. Schneidend klar fuhr es ihm durch den Sinn, wie ungeheuerlich dreist sein »Geschenk« war. Er war ein Narr gewesen, dem Rate Lucías zuwider das Blatt »Hasta la muerte« in der Mappe zu lassen. Bestimmt wird die Königin sich selber erkennen. Bestimmt wird sie Cayetana erkennen. Bestimmt wird sie erkennen,daß er in diesen Blättern den Kampf der toten, verhaßten Feindin fortführte.
    Und nun war es an dem. Nun beschaute die alternde, geschmückte María Luisa die sich schmückende, ausgemergelte Uralte.
    Sie selber war keineswegs dürr, eher üppig, auch höchstens halb so alt wie diese Uralte. Sie wollte es nicht glauben und wußte es doch sogleich: die äffische, läppische Greisin dieses Blattes, das war sie. Der Atem setzte ihr aus vor dem Insult, dem niederträchtigsten, den sie in ihrem an Kränkungen reichen Leben erlitten hatte. Gedankenlos schaute sie auf die Nummer des Blattes: 55. Cincuenta y cinco, dachte sie mechanisch, cinquante-cinq, mehrere Male. Da stand dieser Mensch aus dem Pöbel, dieser Haufe Mist, dieses Nichts, das sie erhöht und zum Ersten Maler gemacht hatte, da stand er in Gegenwart ihres Gemahls, des Katholischen Königs, und ihrer Freunde und Feinde und hielt ihr dieses tückische Blatt unter die Nase. Und alle, Manuel und seine Pepa und alle, hatten ihre Freude daran. War die stolzeste Königin der Erde machtlos, weil sie älter als vierzig war und nicht schön?
    Mechanisch, um ihre Fassung nicht zu verlieren, las sie und wiederholte sie sich: Hasta la muerte, cincuenta y cinco, cinquante-cinq. Sie erinnerte sich der vielen Bilder, welche dieser Goya von ihr gemacht hatte. Auch da hatte er ihre Häßlichkeit gemalt, aber auch ihre Kraft, ihre Würde. Sie war ein Raubvogel und nicht schön, aber einer mit scharfen Augen und guten Krallen, einer, der hoch fliegen konnte und seine Beute rasch erspähen und sicher greifen. Auf diesem Blatt 55 hatte der Mann alles, was an ihr gut war, weggeschwindelt, er hatte nur die Häßlichkeit gemacht und nicht den Stolz, nicht die Kraft.
    Für den Bruchteil einer Sekunde wellte eine rasende Gier in ihr hoch, den Burschen zu vernichten. Sie brauchte gar nicht die Hand zu heben. Sie brauchte nur unter irgendeinem Vorwand dieses »Geschenk« abzulehnen; die Inquisition würde dann das Weitere besorgen. Aber sie war sich bewußt,daß die um sie darauf lauerten, was sie jetzt tun werde. Wollte sie nicht auf eine lange Zukunft Hohn um sich spüren, dann mußte sie dieser pöbelhaften Frechheit mit Ruhe begegnen, mit spöttischer Überlegenheit.
    Sie schwieg und schaute. Manuel und Pepa warteten mit wachsender Besorgnis. Hatte man sich doch zu weit vorgewagt? Den Goya selber überflutete gewaltig, atemraubend, eine neue Welle der Angst.
    Endlich tat María Luisa den Mund auf. Gleichmütig freundlich lächelnd, so daß die diamantenen Zähne glitzerten, drohte sie schalkhaft: »Diese wüste Greisin vor ihrem Spiegel – mein lieber Francisco, haben Sie da der Mutter unserer guten Osuna nicht doch gar zu übel mitgespielt?« Alle drei, Goya, Manuel, Pepa, waren sich klar: diese Frau wußte, »Hasta la muerte« zielte auf sie selber. Aber sie hielt stand, sie zuckte nicht. Ihr konnte man nichts anhaben.
    María Luisa durchblätterte nochmals, flüchtig, die Caprichos. Legte sie zurück in die Mappe. »Es sind gute Zeichnungen«, erklärte sie, »frech, toll, gut. Es ist möglich, daß einige unserer Granden schmollen werden. Aber wir hatten in meinem Parma ein Sprichwort: ›Nur ein Narr ist zornig auf den Spiegel, der sein Bild wiedergibt.‹« Sie ging zurück, erstieg die Stufen, setzte sich auf den erhöhten Sessel. »Unser
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