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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Autoren: Aufbau
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trat, obwohl sie allein waren, ganz nah an ihn heran, und, sehr artikuliert, flüsterte er: »Auch ein Gemälde des Velázquez hoffe ich dort zu finden, ein glorreiches, doch sehr wenig bekanntes, eine Venus mit dem Spiegel.« – »Sie sind ein umsichtiger Mann, Don Joaquín«, sagte anerkennend Francisco. »Von dem Ertrag dieses Velázquez können Sie bestimmt ohne Sorgen leben.« – »Ich denke«, antwortete Peral, »ich werde den Velázquez nicht verkaufen müssen. Ich werde es am Hofe des Zaren nicht schwer haben; meine Freunde sind verlässig und haben mir lockende Versprechungen gemacht. Aber ich werde Spanien sehr vermissen. Und Sie, Don Francisco.«
    Das Erscheinen Perals hatte Goya aufgerührt. Mit ihm waren aus der Tiefe Erinnerungen sehr glücklicher und sehr elender Jahre hervorgebrochen. Mit einem Gefühl dumpfer Leere sah Francisco nun auch diesen Mann gehen, den Freundfeind, der von seinen schmerz- und glückhaften Verknüpfungen mit Cayetana mehr gewußt und begriffen hatte als irgendwer sonst.
    Bald darauf waren auch die letzten Vorbereitungen für die Reise Javiers getroffen. Es war ein langer Aufenthalt in Italien vorgesehen und ein langer Aufenthalt in Frankreich; es sollte eine Reise gründlichen Studiums werden. Goyas Sohn – so wünschte es der Vater – reiste wie ein großer Herr mit einem Diener und mit vielem Gepäck.
    Francisco stand mit Javier am Wagen, während die letzten Koffer eingeladen wurden. »Ich bin sehr zuversichtlich«, sagte Javier. »Dein Sohn wird zurückkommen als ein Künstler, auf den du stolz sein kannst. Ja, ich habe die leise Hoffnung, einmal werde ich malen können wie du, Vater. Die Caprichos freilich«, sagte er anerkennend, »die macht dir keiner nach.«
    Und er raffte seinen weiten,
    Modisch ungefügen Mantel,
    Eine Silberspange hielt ihn,
    Ein Geschenk der Herzogin von
    Alba, um den Hals zusammen,
    Und mit leichten Füßen sprang er
    In den Wagen. Aus dem Fenster,
    Lachenden Gesichtes, mit dem
    Hute winkte er. Der Kutscher
    Hob die Peitsche, und die Pferde
    Zogen an, die Räder rollten.
    Dann war auch Javier gegangen.
    Seinem Vater blieb von ihm als
    Letztes Bild ein junges, hübsches,
    Von Gedanken ungetrübtes,
    Lachendes Gesicht, ein Hut, der
    Winkte, und ein Mantel, flatternd,
    Um den Hals gehalten von der
    Spange Cayetanas.

37
    Goya lebte weiter in der Quinta del Sordo, allein mit Agustín und mit seinen Bildern, den gemalten und den nicht gemalten.
    Er war noch nicht alt den Jahren nach, doch schwer von Wissen und Gesichten. Er hatte die Gespenster gezwungen, ihm zu dienen, aber sie blieben aufrührerisch. Erst vor kurzem noch hatte er’s erfahren, damals vor dem Inquisitionsrichter, als ihn die grauenhafte Angst packte und würgte. Aber wie immer die Dämonen ihm mitspielten, verleiden konnten sie ihm das Leben nicht mehr; gerade daß er vor jenem Richter die Angst gespürt hatte, bewies, wie sehr er am Leben hing.
    Er dachte an Doña Felipa, die schöne Buchhändlerin. Sie sah ihn gerne, das war keine Frage, obgleich er taub war und nicht jung. Wenn sie sich anstrengte, die Caprichos den Käufern schmackhaft zu machen, dann tat sie es nicht um der Radierungen willen, sondern ihm zu Gefallen. »Was Sie für wüste Träume haben, Don Francisco!« Sie spukte ein bißchen oft durch seine Träume. Nächstens wird er sie malen; dann wird sich herausstellen, was weiter geschieht.
    Er nahm den großen Hut und den Spazierstock. Ging ins Freie. Langsam stieg er die kleine Höhe hinan hinter dem Haus. Oben hatte er eine Holzbank anbringen lassen, ohne Lehne. Er setzte sich, sehr aufrecht saß er, wie es sich für einen Mann aus Aragón ziemte.
    Vor ihm lag weit und flach das Land, silbrig im späten Morgen, hinter der dünnglänzenden Heide stiegen die Guadarrama-Berge auf mit ihren schneebedeckten Gipfeln. Häufigsonst hatte ihm die Sicht das Herz erfreut; heute nahm er sie nicht wahr.
    Mechanisch, mit dem Stock, zeichnete er in den Sand, Kringel, aus denen wirres Zeug wurde, Figuren und Gesichter. Leise verwundert sah er: da hatte er wieder einmal was gemacht wie das Gesicht seines Freundes Martín Großnas.
    Es kamen jetzt viele Tote zu ihm. Er hatte der toten Freunde mehr als der lebendigen. »Die Toten machen den Lebendigen die Augen auf.« Da sollten ihm die Augen weit aufgegangen sein.
    Er hatte einige Erkenntnis. Zum Beispiel wußte er, daß das Leben, sooft er’s noch verwünschen wird, der Mühe wert war. Trotz allem. Und der Mühe wert sein
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