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Das verwunschene Tal

Das verwunschene Tal

Titel: Das verwunschene Tal
Autoren: Hans Kneifel
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Hans Kneifel
    DAS VERWUNSCHENE TAL
    Das Riff wölbte sich vom dunklen, geheimnisvollen Grund des Meeres der Spinnen auf. Es bestand aus zerrissenem, scharfkantigem Stein von tiefschwarzer, fast bläulich schimmernder Farbe. Der oberste Kamm des Riffs erstreckte sich von Süden nach Norden und zerfiel in eine Reihe von Erhebungen, von denen nur wenige die Wasseroberfläche durchstießen.
    Wie der sägezahnartige Rücken des Großen Fisches, der auf dem Grund aller Meere liegt, bildeten die Felsen unter dem tobenden Wasser eine Falle für Schiffe und alles, was einen bestimmten Tiefgang hatte. In den Höhlen des Riffs lebten seltsame Geschöpfe, die gierig in der Tiefe jagten, und andere, die an die Oberfläche kamen, wenn sie die Schatten von Booten dahingleiten sahen.
    Jetzt, mitten in der Nacht, lag nur das kreidige Licht des Mondes auf den Wellen.
    Das Wasser, das von dem wütenden Wind vor sich her geschoben wurde, stemmte sich gegen die unterseeische Barriere. Die Wassermassen brachen sich, wurden hochgedrückt und rasten die schwarzen, zerklüfteten Wände hoch, bis sie die Oberfläche erreichten und dort immer wieder riesige Wellen bildeten. Es schien, als ob der Große Fisch, vor dem sich alle Fischer fürchteten, aufgetaucht sei - die Welle bildete in Nord-Süd-Richtung einen gewaltigen Buckel. Sie türmte sich auf, griff über das Riff hinweg und ergoss sich donnernd auf der anderen Seite wieder ins Meer.
    Kristallklar waren in dieser schauerlichen Nacht die Sterne. Sie bedeckten den Himmel ringsum, und ihr Leuchten wetteiferte mit dem Mondlicht. Und da war noch etwas, weit und hoch im Norden! Lange Vorhänge aus rotem, blauem und goldgelbem Licht bewegten sich, zuckten auf, erloschen wieder, erschienen abermals und waren wie Schleier, die eine unsichtbare Göttin zwischen den Sternbildern bewegte.
    Selbst Mythor erschauerte, wenn backbords dieses rätselhafte Licht auftauchte.
    »Es ist die Lichtmelodie!« schrie Steinmann Sadagar mit blaugefrorenen Lippen. »Fahrna hat es im EMPIR NILLUMEN gelesen.«
    »Was bedeutet es?«
    »Das weiß ich nicht!«
    Das Fischerboot hatte drei erkennbare Vorzüge, wenn es auch nicht so schlank und schnell wie die Kurnis war. Ein seegängiges Alltagsfahrzeug, das den Wellen bisher getrotzt hatte, leicht zu manövrieren und solide aus schwerem Holz gezimmert. Mythor hatte es in einem Anflug von Galgenhumor Lahmer Seevogel getauft.
    Wieder packte ein neuer Windstoß den Seevogel, trieb ihn auf die Spitze einer Woge hinauf, schüttelte ihn hin und her und glitt unter die Decken, Mäntel und Pelze der vier Insassen. Kalathee schrie auf vor Angst.
    Mythor stand am Steuer und sah undeutlich, dass der Bug des Bootes ins Nichts deutete. Sie ritten auf der Woge, die sich seitlich des Fischerboots brach und in weißen Gischt verwandelte. Es war kein Segeln mehr, es war eine rasende Schlingerfahrt über das aufgewühlte Meer der Spinnen. In keiner Himmelsrichtung war trotz der klaren Sicht Land oder gar ein Feuer zu erkennen.
    »Wo sind wir, Mythor?« rief Nottr, der neben Kalathee im Schutz des Hecks kauerte.
    »Irgendwo zwischen der Dreiländerinsel und dem Festland von Tainnia«, gab Mythor zurück.
    »Wir werden diese Nacht nicht überleben«, schluchzte Kalathee .
    »Wir haben schon andere Nächte überstanden«, antwortete Mythor.
    Aus seinem Beutel voller Münzen hatte Steinmann Sadagar an der Ostküste der Dreiländerinsel einige Goldstücke geopfert. Dafür hatten sie von den armen Fischern Nahrungsmittel, Decken und Felle und das Boot bekommen. Es war zwischen der Elvenbrücke und Akinborg gewesen und schien eine Ewigkeit zurückzuliegen, denn so lange erschien ihnen schon diese Wahnsinnsfahrt.
    Bittere Kälte, noch schneidender durch den wütenden Sturmwind, verwandelte jeden Tropfen Wasser an Deck in Eis. Das Segel war starr und fest wie ein Schild, vom Bugspriet hingen lange Eiszapfen. Auch an den Wanten bildeten sich Eiskristalle. Ab und zu platzten große Fladen der Eisschicht vom Segel und klirrten aufs Deck herunter.
    »Sie haben uns immer wieder gewarnt!« ließ sich Sadagar vernehmen. »Wir fahren in den sicheren Tod, Mythor!«
    »Auf alle Fälle«, versuchte er ihre Angst zu zerstreuen, »ist es eine schnelle Fahrt. Ich bin sicher, sie führt nicht ins Verderben, sondern letztlich nach Nyrngor.«
    Dann sah er weit vor sich die Woge.
    Schon jetzt hob sich das Boot. Die Welle, auf der es geritten war wie ein flaches, zitterndes Brett, senkte sich und verschmolz mit der
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