Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
wird.
    »Ya es hora« wird er freilich so bald nicht rufen können. Aber auch wenn die Stunde niemals schlagen wird, er wird auf sie warten und an sie glauben, bis zu seinem letzten Seufzer.
    Blicklos starrte er vor sich hin auf die Heide und auf die Berge dahinter. Er hatte einen hohen Kamm erreicht. Aber auf dieser Höhe sah er beklommen, wie hoch die nächste Höhe war und wie ungeheuer hoch die letzte. Plus ultra, das war leicht gesagt. Der arge Weg wurde immer steiler, steiniger, und die dünne, kalte Luft benahm einem den Atem.
    Von neuem zeichnete er in den Sand, spielerisch. Ein Gebilde dieses Mal, das ihm oft kam, die Umrisse eines Riesen, der dahockte, ausruhend, dümmlich träumend, zu Häupten einen magern, lächerlichen Mond.
    Mit jäher Bewegung hörte er auf zu zeichnen, seine Miene spannte sich, härtete sich. Er hatte ein Neues gesichtet. Dieses Neue auf die Leinwand zu zwingen oder aufs Papier, wird verdammte Mühe kosten. Es wird eine sehr wilde, bitterkalte Höhe sein, die er da wird hinaufmüssen. Und niegesehene Farbtöne wird er finden müssen, um das Niegesehene sichtbar zu machen. Etwas wie ein schwärzliches Weiß und Braun, wie ein schmutziges Graugrün, etwas Fahles, dumpf Erregendes. Und: »Ist das noch Malerei?« werden sie fragen. Eswird Malerei sein, seine Malerei; wenn einer die Caprichos malte , dann war das die einzig mögliche Malerei. Und vor den gemalten Caprichos werden die radierten ein harmloser Kinderspaß sein.
    »Was Sie für wüste Träume haben, Don Francisco!« Der würdige Herr lächelte breit und böse unter dem würdigen Bolívar. Stand auf. Ging zurück ins Haus.
    Ging in sein Schlafzimmer. Legte den grauen Gehrock ab, machte sich’s bequem. Zog den Arbeitskittel an, den er lange Zeit nicht mehr getragen hatte; wieder lächelte er: Josefa hätte ihre Freude an ihm gehabt.
    Im Arbeitskittel ging er hinunter ins Speisezimmer. Setzte sich zwischen die kahlen Mauern.
    Für das Neue, das er da gesichtet hatte, taugte keine Leinwand. Es war nichts zum In-den-Rahmen-Spannen und zum Herumtragen. Es war ein Teil seiner Welt und sollte es bleiben. Es gehörte auf keine Leinwand, es gehörte festgebannt an seine Mauer.
    Er starrte auf die kahle Wandfläche, schloß die Augen, öffnete sie, starrte von neuem, scharf und doch blicklos. Neue Kraft lief ihm durchs Blut, unheimlich und beglückend.
    Sein neuer Riese, der war das Rechte für seine Wand. Der war was anderes als der Riese, den er bisher so oft gesehen und belächelt und in den Sand gekritzelt hatte. Auch dieser neue wird ein sturer Riese sein, aber ein gieriger und gefährlicher, derjenige vielleicht, welcher die Gefährten des Odysseus frißt, oder auch jener, der Saturn oder wie er heißt, der Dämon der Zeit, der seine eigenen Kinder verschlingt.
    Ja, solch ein menschenfresserischer Riese gehörte hierher, an die Wand seines Speisezimmers. Früher war ihm zuweilen das Mittagsgespenst begegnet, »El Yantar«, und er hatte sich davor gefürchtet und war ihm ausgewichen, wiewohl es ein sanftgrinsender, gemütlicher Dämon war; jetzt war er so weit, daß er nicht einmal mehr »El Jayán« fürchtete, den dummen und gefährlichen Mordskerl. Im Gegenteil, er wollte sich an ihn gewöhnen, wollte ihn immer vor Augen haben, den»Ogro«, den »Coloso«, den »Gigante«, den fressenden, schlingenden, kauenden, malmenden Riesen, der zuletzt ihn selber fressen wird. Was da lebt, frißt und wird gefressen. Das ist recht so, und das wollte er vor Augen haben, solang es ihm selber noch vergönnt war zu fressen.
    Und auch die paar Freunde sollten es vor Augen haben, die er an seinem Tisch zuließ. Wer seinen Riesen anschaute, der sollte doppelt bissig und fröhlich spüren, daß er noch am Leben war. Alle wird er sie fressen, der Ogro, alle, den Miguel und die Lucía und den Agustín und die Doña Felipa, die schöne Buchhändlerin. Aber vorläufig frißt man selber und lebt. Kraft läuft einem durch den Leib. Man spürt, man ist dem sturen Riesen an der Wand tausendmal überlegen. Man durchschaut ihn in seiner Allmacht und in seiner Ohnmacht, in seiner gefährlichen Bosheit und in seiner erbärmlichen Lächerlichkeit. Und man kann seine Sturheit und Gefräßigkeit und Tücke hänseln und hudeln und verhöhnen, dieweilen man noch selber bei Tische sitzt und frißt. Und über den eigenen Tod hinaus kann man den dummen Ogro auslachen durch das Bild an der Wand.
    Er ist noch ein schattenhaftes
    Bild vorläufig, sein Coloso,
    Sein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher