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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Autoren: Aufbau
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    Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts war fast überall in Westeuropa das Mittelalter ausgetilgt. Auf der Iberischen Halbinsel, die auf drei Seiten vom Meer, auf der vierten von Bergen abgeschlossen ist, dauerte es fort.
    Um die Araber von der Halbinsel zu verdrängen, hatten vor Jahrhunderten Königtum und Kirche ein unlösliches Bündnis eingehen müssen. Der Sieg war möglich nur, wenn es den Königen und den Priestern gelang, die Völker Spaniens durch strengste Disziplin zusammenzuschweißen. Es war ihnen gelungen. Sie hatten sie vereinigt in einem inbrünstig wilden Glauben an Thron und Altar. Und diese Härte, diese Einheit war geblieben.
    Zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts war die iberische Tradition auf tragisch lächerliche Art erstarrt. Zweihundert Jahre zuvor schon hatte sich der größte Dichter des Landes aus diesem finster grotesken Willen zur Beharrung seinen Stoff geholt. Er hatte in der Geschichte von dem Ritter, der von den alten, ritterlichen, sinnlos gewordenen Bräuchen nicht lassen kann, ein für immer gültiges Gleichnis geschaffen, und sein höchst liebenswerter Held, rührend und lächerlich, war berühmt geworden über den Erdkreis.
    Die Spanier hatten über Don Quijote gelacht, aber ihren Willen zur Tradition nicht aufgegeben. Länger als sonstwo in Westeuropa hielt sich auf der Halbinsel das mittelalterliche Rittertum. Kriegerische Tugend, bis zur Tollheit heldisches Gehabe, hemmungsloser Frauendienst, herrührend aus der Verehrung der Jungfrau Maria, diese Eigenschaften blieben die Ideale Spaniens. Die ritterlichen Übungen, längst ohne Sinn, hörten nicht auf.
    Verknüpft mit diesem kriegerischen Gewese war eine leise Verachtung der Gelehrsamkeit und des Verstandes. Desgleichen ein ungeheurer Stolz, berühmt und berüchtigt über die Welt, Stolz der Gesamtheit auf die Nation, Stolz des einzelnen auf seine Kaste. Das Christentum selber verlor in Spanien seine Demut und seine Heiterkeit, es nahm ein wildes, düsteres, herrisches Gepräge an. Die Kirche wurde hochfahrend, kriegerisch, männlich, grausam.
    So war noch um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts das Land das altertümlichste des Erdteils. Seine Städte, seine Trachten, die Bewegungen seiner Menschen, ja, ihre Gesichter muteten den Fremden seltsam starr an, Überbleibsel der Vorzeit.
    Aber jenseits der nördlichen Berge, abgetrennt von Spanien nur durch diese Berge, lag das hellste, vernünftigste Land der Welt: Frankreich. Und über die Berge drang trotz aller Absperrmaßnahmen seine Vernunft und seine Beweglichkeit. Unter der starren Oberfläche, sehr langsam, änderten sich auch die Menschen der Halbinsel.
    Es herrschten damals über Spanien fremde Könige, Herrscher französischen Ursprungs, Bourbonen. Wohl konnten die Spanier sie zwingen, sich ihnen anzupassen, so wie sie früher die Habsburger gezwungen hatten, sich zu hispanisieren. Doch der spanische Adel lernte durch die französischen Könige und ihre französische Umgebung die fremden Sitten kennen, und manche lernten sie lieben.
    Die Gesamtheit indes hielt, während sich der Adel langsam änderte, zäh am alten fest. Mit ernster Gier übernahm das Volk die Rechte und Pflichten, welche die großen Herren hatten fallenlassen. Der edelste Sport waren die Stierkämpfe gewesen, ein Privileg des Hochadels. Die Übung selber wie der Anblick war Adeligen vorbehalten gewesen. Jetzt, da sich die Granden nicht mehr im Stierkampf betätigten, übte um so leidenschaftlicher das Volk die wilde Sitte. Und wenn die Granden ihre Manieren lockerten, so wurde die Etikette des Volkes um so strenger. Schuhmacher legten Gewicht darauf,als kleine Adelige, als Hidalgos, angesehen zu werden, und Schneider begrüßten sich mit umständlichen Titeln. Don Quijote hatte abgedankt, Don Quijote hatte sich in einen eleganten Herrn von Versailles verwandelt; nun übernahm das Volk seinen Schild und sein klappriges Streitroß. Sancho Pansa wurde Don Quijote, heroisch und lächerlich.
    Drüben, jenseits der Pyrenäen, köpfte das französische Volk seinen König und jagte seine großen Herren davon. Hier in Spanien vergottete das Volk seine Monarchen, wiewohl sie französischen Ursprungs waren und höchst unköniglich. König blieb dem Volke König, Grande blieb ihm Grande, und während diese Granden, französischen Sitten mehr und mehr zugetan, sich schon damit abgefunden hatten, auch mit einem republikanischen Frankreich zu paktieren, kämpfte das spanische Volk begeistert weiter gegen die
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