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Forbidden

Forbidden

Titel: Forbidden
Autoren: Tabitha Suzuma
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Erstes Kapitel
    Lochan
    Ich starre auf die kleinen, reglosen, verbrannten schwarzen Körper, die das abblätternde Weiß des Fensterbretts sprenkeln. Auch die waren mal lebendig, aber das muss man sich schon sagen, sonst glaubt man es nicht. Wie es wohl wäre, frage ich mich, in diesem Glaskasten mit seiner stickigen Luft zwei Monate lang eingeschlossen zu sein, von der Sonne gnadenlos gebraten zu werden – und immer nach draußen sehen zu können, wo der Wind durch das Laub fährt und die Bäume schüttelt, direkt vor deinen Augen. Immer und immer wieder schmeißt du dich gegen die unsichtbare Wand, die dich von allem trennt, was wirklich und lebendig und zum Überleben notwendig ist, bis du schließlich aufgibst: verbrannt, erschöpft und resigniert, weil die Aufgabe zu groß ist, die du dir da vorgenommen hast. An welchem Punkt hört eine Fliege auf, durch ein geschlossenes Fenster ins Freie kommen zu wollen? Lassen ihre Überlebensinstinkte sie immer weitermachen, bis sie körperlich einfach nicht mehr kann, oder lernt sie irgendwann nach einem der viel zu vielen Male, dass es keinen Ausweg gibt? An welchem Punkt beschließt man, dass zu viel zu viel ist?
    Ich schaue von den Kadavern weg und versuche mich auf die quadratischen Gleichungen an der Tafel zu konzentrieren. Ein dünner Schweißfilm bedeckt meine Haut, die Haarsträhnenkleben mir an der Stirn, und mein Hemd ist durchgeschwitzt. Die Sonne hat den ganzen Nachmittag durch die großen Fenster hereingebrannt, und ich befinde mich dummerweise voll im Einfallswinkel ihrer Strahlen, geblendet von ihrem grellen Licht. Die Kante der Stuhllehne presst sich mir in den Rücken, ich sitze zurückgelehnt da, ein Bein ausgestreckt, den Fuß des anderen auf den niedrigen Heizkörper an der Wand gelegt. Ich blicke vor mich auf den Tisch. Die zu weiten Manschetten meines weißen Hemds haben vorne einen Schmutzrand und auch ein paar Tintenflecken. Das leere Blatt starrt mich an, sein Weiß schmerzt mich in den Augen, dann fange ich lethargisch an, die Gleichungen zu lösen. Meine Schrift ist fast unleserlich. Der Füller rutscht mir immer wieder aus den schweißnassen Fingern. Mein Mund ist trocken, ich löse die Zunge vom Gaumen und versuche zu schlucken, aber ich kann nicht. Fast eine Stunde sitze ich schon so da, eine bequemere Haltung finden zu wollen ist absolut sinnlos, das weiß ich genau. Ich beuge mich über die Aufgabe, kratze mit der Feder meines Füllers langsam übers Papier. Wenn ich zu schnell fertig bin, bleibt mir nichts anderes übrig, als wieder die toten Fliegen anzuschauen. In meinem Kopf pocht es. Die Luft im Raum ist stickig und schwül, zweiunddreißig Schüler schwitzen in der Hitze vor sich hin, atmen ein und aus. Ein Gewicht hat sich mir auf die Brust gelegt, das es mir schwer macht, Luft zu bekommen. Es ist nicht nur das Klassenzimmer, die verbrauchte Luft hier. Ich spüre das Gewicht seit Dienstag, seit dem Moment, als ich das erste Mal wieder durch das Schultor gegangen bin. Seit das neue Schuljahr angefangen hat. Die erste Woche ist noch nicht zu Ende, und ich fühle mich schon wieder, als wäre ich seit Ewigkeiten hier eingesperrt. Zwischen den Schulwänden ist die Zeit wie aus Beton. Nichts hat sich verändert. Die Leute sind alle noch dieselben: leere Gesichter, abschätziges Lächeln. Meine Augen weichen ihren aus, wenn ich das Klassenzimmer betrete, und sie schauen an mir vorbei, durch mich hindurch. Ich bin hier, aber nicht da. Die Lehrer haken meinen Namen auf der Anwesenheitsliste ab, doch keiner nimmt mich wahr, weil ich die Kunst, mich unsichtbar zu machen, schon seit Langem perfektioniert habe.
    Wir haben eine neue Englischlehrerin – Miss Azley, irgendwoher aus Australien, jung und gut drauf: naturkrause lange Mähne mit einem regenbogenfarbenen Stirnband, braun gebrannt, an den Ohren große Goldkreolen. Um ehrlich zu sein, wirkt sie kaum älter als ein paar aus unserer Klasse, die sie in diesem Jahr unterrichten soll. Einige der Jungs fangen ein wildes Pfeifkonzert an. So lange, bis sie sich an der Tafel umdreht und die Typen so empört anschaut, dass sie sich unwohl zu fühlen beginnen und zur Seite schielen. Trotzdem kommt es danach zu einem lärmenden Durcheinander, als sie uns befiehlt, die Tische im Halbkreis aufzustellen. Sie darf froh sein, dass bei dem Rumgeraufe und der Rempelei, dem Tischerücken und Stühleschieben niemand verletzt wird. Miss Azley scheint das allerdings nichts auszumachen. Als wir endlich alle
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