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Gefährliche Freiheit

Gefährliche Freiheit

Titel: Gefährliche Freiheit
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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1. Kapitel
     
    Luke Garner stand Schulter an Schulter mit einem Dutzend anderer Jungen und wartete. Es war sechs Uhr früh im Hauptquartier der Bevölkerungspolizei. Zeit für die tägliche Inspektion der Arbeiter, bei der die Uniformen absolut sauber und faltenlos und von tadellosem Sitz zu sein hatten, die Rücken der Jungen absolut gerade und die Gesichter absolut ergeben. Aber Luke und die Jungen neben ihm waren Stallgehilfen, die Niedrigsten der Niedrigen; und obwohl sie sich bereits um sechs Uhr aufstellen mussten, wurde es manchmal halb sieben oder sieben Uhr, bis der Sergeant die Reihe entlangstolziert kam. Jeden Morgen nahm er sie argwöhnisch in Augenschein, um ihnen Zusatzarbeiten aufzudrücken, sobald er eine verirrte Haarsträhne oder eine Falte an einer Uniform entdeckte oder auch nur die Andeutung eines Grinsens im Gesicht eines Jungen.
    »Du«, bellte er dann los. »Du schaffst sämtlichen Mist aus der ersten Box in die zweite. Und dann von der zweiten in die dritte …«
    Nur ein Dumpfkopf würde einwenden, dass dies ein völlig uneffektives Vorgehen sei und unnötig lange dauere; dass die Zeit doch sinnvoller für andere Arbeiten genutzt werden könne. So dumm waren die Jungen, die hier in der Reihe standen, nicht mehr. Einmal, vor langer Zeit, kurz nachdem Luke ins Hauptquartier gekommen war, hatte einer gewagt, eine Aufgabe infrage zu stellen: »Gibt es denn keine größere Gabel, die ich benutzen kann? Dann würde es viel schneller gehen.« Der Junge war vor aller Augen zusammengeschlagen worden.
    Und dann war er verschwunden.
    Luke hatte im Stall keine Freunde gefunden. Bleib für dich, schien hier ein ungeschriebenes Gesetz zu lauten. Doch Luke dachte oft an den Jungen, der es gewagt hatte, eine Frage zu stellen, und dann verschwunden war.
    »Still ge-standen!«, schrie der Sergeant. Er war schneller herangekommen als je zuvor.
    »Jawohl, Sir!«, brüllte Luke mit den anderen im Chor und ließ die Hand grüßend an die Stirn schnellen. Dennoch fürchtete er, den Arm zu langsam gehoben und sein »Jawohl, Sir« einen Sekundenbruchteil zu spät gerufen zu haben und dass man ihn jetzt herauspicken und bestrafen würde. Der Sergeant kniff die Augen zusammen und schien ihm direkt ins Gesicht zu starren. Luke klopfte das Herz wie verrückt. Doch dann fiel der Blick des Mannes auf den Nächsten in der Reihe.
    »Ihr seid nutzlose Stalljungen«, schimpfte er los und starrte sie der Reihe nach an. »Ihr seid nicht besser als der Mist, in dem ihr euch wälzt.«
    »Jawohl, Sir!«, riefen Luke und die anderen Jungen. Sie waren geschult. Sie wussten, was sie zu antworten hatten.
    »Aber …«, der Sergeant machte eine Pause. Das war neu. Normalerweise pflegte er sie endlos weiter zu beschimpfen. »Einige von euch werden Gelegenheit erhalten, sich zu bessern.« In seiner Stimme lag ein neuer Unterton. Verschlagenheit? Unsicherheit?
    Seit Luke vor fast einem Jahr von zu Hause fortgegangen war, hatte er sich schon tausendmal gewünscht, andere Menschen besser verstehen zu können, ihre Lügen zu durchschauen und zu begreifen, was sie wirklich sagten.
    »Einigen von euch wird eine höhere Berufung zuteil werden«, fuhr der Sergeant fort. »Zum Ruhme unseres Landes wird man euch eine neue Aufgabe zuweisen.«
    Keiner der Jungen wagte sich zu rühren, doch Luke konnte förmlich spüren, dass sie nur darauf warteten, untereinander Blicke auszutauschen, um festzustellen, ob irgendjemand wusste, wovon der Sergeant redete. Höhere Berufung? Neue Aufgabe? Was hatte das zu bedeuten?
    Ein weiterer Mann trat neben den Sergeant. Er war größer, imposanter. Seine Uniform war noch glatter und auf seiner Brust funkelte eine Reihe von Orden.
    »Ich wähle aus«, sagte er herrisch.
    Er schritt die Reihe ab und musterte jeden Einzelnen mit prüfendem Blick. Luke hielt die Luft an, als könnte er zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn er ausatmete. Er wollte keine neue Aufgabe. Ihm gefiel die Arbeit mit den Pferden. Sie war … sicher. Der Stall war ein guter Ort, um sich zu verstecken.
    Ich für meine Person habe genug vom Verstecken. Die Worte, die einer seiner Freunde vor Monaten gesagt hatte, fielen ihm wieder ein. Luke war nicht zur Bevölkerungspolizei gegangen, weil er Sicherheit suchte; nur ein Narr würde sich hier verstecken wollen. Luke und seine Freunde hatten andere Pläne gehabt. Und Träume. Aber ihnen war nicht klar gewesen, wie groß das Hauptquartier war und wie schwierig es sein würde, auch nur eine
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