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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
Autoren: Peter Ustinov
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Gäste sein werdet. Und jetzt fordere ich Mr. Victor Ludlow auf, einen Toast auf die Jungvermählten auszubringen.«
    Mr. Victor Ludlow, der als Witold Lumbomirski aus Lwöw in Sidney angekommen war, hielt eine wortreiche Rede auf Mr. und Mrs. George Pollen und schilderte sie als Symbole des neuen Australien, das im Begriff sei, sich wie ein Phönix aus der verzweifelten Feuersbrunst Europas zu erheben, und dann wurden ausgiebig Photos geschossen, von einem Mr. Bernie Peters, der als Bratislav Petrosevic in Zagreb zur Welt gekommen war. Ida fand es ungeheuer romantisch, als Einwanderin behandelt zu werden, und spät am Abend versuchte sie einen trunkenen serbischen Volkstanz, begleitet von einem Akkordeon, einer Querpfeife und zwei Suppenlöffeln als Kastagnetten. Tränen standen in manchen Augen, als die Party auseinanderging. Sie hatte ein wenig Intimität geschaffen, ein wenig Nähe, in einem Land, wo beides so auffällig fehlte. Das Geschäft ging gut. Es konnte kaum anders sein. Die einzige Schwierigkeit bildeten die Wochenendsäufer und die Lizenzbestimmungen. Bill hatte eine Lizenz für Bier und Wein bekommen, doch der Verkauf harter Spirituosen war im Rhinegold verboten. Dennoch verschafften die Einsamen sich samstags und sonntags Zutritt und bettelten in ihren verschiedenen Sprachen um Drinks, und es war nicht immer einfach, sie abzuweisen. Nicht gegen das Gesetz zu verstoßen konnte schlecht sein für das Geschäft. Niemand, außer der Polizei, liebt einen Spielverderber. Das Rhinegold konnte sich bald eine dreiköpfige Kapelle leisten, die das Geklapper der Bestecke übertönte, wie Kapellen dies überall auf der Welt tun, indem sie jenen, die sich etwas zu sagen haben, die Unterhaltung unmöglich machen, und den anderen das Reden ersparen.
    Da Montag ein freier Tag war, gingen Bill und George öfter auf die Jagd, wie feine Herrn in der Alten Welt. Und bei einem dieser Ausflüge erzählte George Bill von seinem Gefühl, daß sie einander schon mal begegnet seien. »Komisch, daß du es sagst«, antwortete Bill. »Ich hatte dasselbe Gefühl. Warst du lange in Sydney?«
    »Einen Tag.«
    »Nun, ja, dann kann es dort nicht gewesen sein.« Es entstand eine Pause, während sie den Horizont nach Enten absuchten.
    »In Europa vielleicht?« spekulierte George. »Möchte ich bezweifeln. Ich bin nicht viel herumgekommen. Kaum war der Krieg vorbei, packte ich meine Koffer und kam hierher.«
    »Während des Krieges?«
    »Nein. Nein, kann nicht sein. Wieso, wo warst du damals?«
    »Ich? Oh.« George seufzte. »Willst du das wirklich wissen?«
    »Mein Motto ist: Stell keine Fragen, dann hörst du keine Lügen.«
    »Ich habe nichts zu verbergen«, sagte George. »Ich war in Auschwitz, Belsen, Dachau, Mauthausen und ein paar anderen Orten.«
    »Du bist doch nicht Jude, oder?« fragte Bill und hob das Gewehr an die Schulter. »Nein, wieso?«
    »Die meisten dieser armen Schweine endeten in den Lagern, wenigstens hat man mir das erzählt.«
    »Oh, nicht nur Juden.«
    »Nein? Nun, ich sage ja nur, was man mir erzählt hat. Die ganze Zeit damals, da kann ich drauf verzichten. Wie Schweine haben sich alle benommen – wir, die Alliierten. Ich will nicht daran denken.«
    »Wo warst du damals?«
    Bill ließ sein Gewehr sinken. »Ich? Wo glaubst du wohl? In der Wehrmacht. Sanitäter. Nach Griechenland schickten sie mich. Und Nordafrika. Die Fliegen waren schlimmer als der Feind. Dann setzte ich mich ab.«
    »Wie?«
    »Magengeschwüre.«
    »Du hattest Magengeschwüre?« Bill lächelte. »Nein.«
    George betrachtete seinen Freund mit glühender Bewunderung. Selbst jetzt hatte er die Haltung eines Großindustriellen.
    Bill sagte leise: »Man verbringt nicht die Jahre als Helfer eines Doktors, ohne selbst etwas zu lernen.«
    Ein Freitag war es, als Ida verkündete, daß sie schwanger sei. Es war kaum zu glauben, und doch war Dr. Chalkburner, der als Dr. Kalkbrunner ein führender Spezialist in Szeged gewesen war, seiner Sache sicher. Wieder einmal wurde Champagner getrunken, und George leistete eine Anzahlung auf ein kleines, modernes Haus. Er kaufte auch ein amerikanisches Auto, alt, aber sehr geräumig. Sein Freund Bill schenkte ihm eine herrliche Jagdflinte, als er die Neuigkeit hörte. Während George das Geschenk sprachlos entgegennahm, zermarterte er sich das Hirn nach all den Wohltaten, die ihm je erwiesen worden waren, und versuchte sich zu erinnern, versuchte seinen Freund einzuordnen.
    Das Rhinegold expandierte. Es hatte jetzt
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