Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
Autoren: Peter Ustinov
Vom Netzwerk:
all diese Geschenke? Warum war dieser Barbar so freundlich zu ihm gewesen? Konnte es sein, daß er eine Art Gewissen entwickelt hatte? Hatte sich Bill an ihn erinnert, als sie sich in Australien zum ersten Mal trafen? Einer von Millionen, die in Mauthausen durch seine Hände gegangen waren? Schwerlich. Doch selbst wenn er nur symbolischer Gegenstand der Reue wäre – konnte es denn sein, daß Gut und Böse nicht ausgewogen waren in diesem unseligen Herz und daß er, George Pollen, zum Werkzeug erkoren worden war, das Bill befähigen sollte, den Menschen wieder ins Gesicht zu sehen? Unsinn. Bill hatte seit langem, und ohne solche Hilfe, angenehm und kommerziell erfolgreich in Billiwoonga gelebt. In diesem unserem Australien hat kein Mann eine Vergangenheit, jeder Mann hat eine Zukunft. Ach, wie bequem. Von den Australiern selbst wurde es so bequem gemacht. Er erinnerte sich an Gerüchte aus dem Umkreis des Internationalen Flüchtlingskomitees in Wien. Nach Amerika war schwer hineinzukommen, sogar Kanada bestand auf einer gründlichen Überprüfung, doch Australien nahm all jene, die von den anderen beiden abgelehnt wurden. Wer konnte sagen, welch giftige Saat in der Wildnis ausgestreut worden war? Der Gedanke an Mord gab ihm Zuversicht, und er versuchte, auf dem Sofa zu schlafen. Er träumte, und sein eigener Schrei weckte ihn. Er sah auf die Uhr. Er hatte zehn Minuten geschlafen.
    Ein ferner Hahn krähte, und ein Hund bellte irgendwo. Er ging hinaus in die Dunkelheit und lief. Er hatte keine Ahnung, auf welcher der Schotterstraßen er sich befand, als die Dämmerung anbrach, aber plötzlich, nach ein paar Augenblicken schiefergrauer Trostlosigkeit, explodierte eine riesige, posaunenschallende Sonne über den schwarzen Bäumen, und ein Jahrmarkt von Vögeln wurde zwischen den Ästen eingeläutet. Die Erde schien sich in ihrem leichten Schlaf herumgewälzt zu haben, und die Nacht starb schmerzlos binnen einer Sekunde.
    Fast sofort war es heiß in der Sonne, aber noch kalt im Schatten. Er starrte auf dieses seltsame Land, auf die ulkigen Felsbrocken, die durch irgendeine prähistorische Flatulenz der Erde über die Landschaft verstreut worden waren. Die sterbenden Gummibäume standen zwischen den toten, weißen, unbeerdigten Leichen, der Ernte der Schlacht. Wieder Mauthausen. Die Leichenhaufen. Er wollte sich mit den Fäusten schlagen. Das war Selbstmitleid, Überdramatisierung. Die Bäume waren nicht durch Bosheit gestorben, sondern auf Grund von Nachlässigkeit, was beinah noch schlimmer war. Man hatte sie sterben lassen; die Erlaubnis zu sterben war ihnen garantiert. Und die noch lebten, warteten nur. Er schauderte. Das Leben war kostbar, und alles war von Bedeutung. Neben seinem Fuß baute eine Ameisenzivilisation ihr Imperium auf, Stück für Stück so wichtig wie Australien, die Tschechoslowakei, ein Mikrokosmos, aber nichtsdestoweniger eine Welt. Der Weg ihrer Mühen führte sie über einen großen Stein. Sie bauten ihr Wasserkraftwerk. Er lächelte innerlich bei der Vorstellung, und runzelte dann die Stirn, als ihm klar wurde, daß er mit einem Fuß eine ganze Kompanie von ihnen töten konnte. Er könnte es mit Leichtigkeit tun, ohne Reue, weil er sich nicht mit ihnen verständigen konnte. Ein Mann kann keine Liebe empfinden zu einer Ameise. Das Leben ist unvollkommen. Stillgestanden! Schweine!
    Er war Vater, zum ersten und zweifellos einzigen Mal im Leben, ein Vater mit Ende Vierzig. Es war ein Tag von erheblicher Bedeutung, ein Tag der Freude. Und doch stand er hier und dachte an Rache. Oh, was tun? Er hielt sich den Kopf mit beiden Händen und gähnte plötzlich. Er war müde. Wenn man am Ende ist, setzt die Natur sich durch, respektlos und spöttisch. Er wanderte zurück zur Stadt, die Hände in den Hosentaschen.
    Wenn er die Partnerschaft kündigte, würde er das Haus aufgeben müssen. Aber nun war er wahrscheinlich zu alt für den Tunnel. Es würde bedeuten, wieder von vorn anzufangen. War das fair gegenüber Ida oder Malcolm? Ein neuer Gedanke kam ihm in den Sinn. Konnte er sich geirrt haben, was Bill betraf? Es war so lange her. Er hatte damals so viel Brüllen gehört. Stimmen ähneln einander. Müssen sie zwangsläufig. Stimmbänder haben ein schmaleres Spektrum als Gesichter, weniger Unterscheidungsmerkmale. In seinem Herzen wußte er, daß er sich nicht geirrt hatte.
    Er würde ihm das Gewehr zurückgeben. Ausgerechnet ein Gewehr! Wie sollte er es anstellen, ohne Erklärung? Daran würde die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher