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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
Autoren: Peter Ustinov
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beinah dreißig Tische. Als Idas Stunde näher rückte, wurde zusätzliches Personal eingestellt. Das Niveau sank ein wenig, aber die Leute merkten es nicht. Das Lokal hatte sich als eleganter Treffpunkt in Billiwoonga etabliert.
    Dann, eines Morgens, als George bereits an der Arbeit war und die Bestände aufnahm, klingelte das Telephon. Es war Dr. Chalkburner, der ihm mitteilte, daß Ida ins örtliche Krankenhaus geschafft worden sei und daß man nichts zu befürchten habe. George rief sofort Bill an. Bill sagte ihm, er solle das Lokal schließen und ihn im Krankenhaus erwarten. »Wir können uns nicht leisten, das Restaurant nur wegen so was zu schließen«, sagte George im Wartezimmer, als Bill eintraf. »Es ist Samstag, bester Tag der Woche.«
    »Hör mal, du wirst nicht jeden Tag Vater«, erwiderte Bill. »Ich erinnere mich, als der kleine John zur Welt kam, war ich beinah pleite. Ich hatte damals nur das Radiogeschäft, und wir hatten keinen so guten Start gehabt, aber ich schloß den Laden. Als ich aufbrechen wollte, um ins Krankenhaus zu gehen, kam eine Kundin. Ich habe sie abgewiesen.«
    »Trotzdem – Sonnabend.«
    Bill lachte freundlich. »Falls das Kind in den nächsten Minuten geboren wird, können wir das Lokal heute abend aufmachen. Mach dir keine Sorgen deshalb. Hier, ich habe eine Flasche Schnaps mitgebracht, echten deutschen Schnaps. Das ist’s, was wir brauchen.« Während sie tranken, wurde George von widersprüchlichen Gefühlen überwältigt, von Freude und einer starken, unerklärlichen Sorge. Er hatte Angst um seine Frau. Alles in diesem Wartezimmer war so funktional, so alltäglich; das Wetter war unbestimmbar. Es war kaum ein passender Hintergrund für ein großes, beängstigendes Ereignis.
    »Wie wirst du es nennen?« fragte Bill.
    George war ihm dankbar für seinen Takt. Bill schien die Qual im Herzen seines Freundes zu verstehen, und seine Worte waren wie Trittsteine über einen Abgrund. »Wenn es ein Mädchen ist, Ida. Wenn es ein Junge ist, Malcolm.«
    »Wieso Malcolm?« fragte Bill, echt überrascht. »Ich weiß nicht. Ist ein guter Name. So fern von den Namen, die wir kennen. Wenn ich über mein Leben nachdenke, verstehe ich nicht, wie ich in diese Situation gekommen bin – beinahe Vater, verheiratet, mit einem Auto und einem Haus und einem Geschäft. Diese Lager, das war das Ende der Welt – «
    »Ja, ja«, unterbrach Bill, beinah schroff. »Aber denke jetzt nicht an so was. In diesem unserem Australien hat niemand eine Vergangenheit, jeder hat eine Zukunft. Ich möchte Europa nicht wiedersehen. Ich weiß, das Essen ist besser, die Arbeitsmoral ist besser. Er gibt mehr Unterhaltung, es gibt keine Lizenzbestimmungen, aber ich wünsche für meine Kinder eine Zukunft, die anders ist als das, was ich kannte. Bis sie einmal in meinem Alter sind, wird dies ein Ort sein, wo es sich lohnt zu leben, und Gott allein weiß, was mit Europa sein wird.«
    »Ich frage mich, warum wir immer Englisch zusammen sprechen«, sagte George. »Wir sprechen beide Deutsch besser.« Bill weigerte sich, zu Mittag nach Hause zu gehen, und während der Nachmittag verstrich und der Schnaps dahinschwand, wurde die Beziehung zwischen den beiden Männern warmherziger, als sie es je gewesen war. »Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll, Bill.«
    »Ich brauche keinen Dank. Du bist ein guter Arbeiter, und ein guter Arbeiter ist ein guter Partner, und wenn man beides hat, ist es ein gutes Geschäft. Wir haben gute Frauen. Sie sind nicht schön, aber schöne Frauen bedeuten Schwierigkeiten. Frauen sollten gute Köchinnen sein, gute Haushälterinnen, gute Mütter, gut im Bett. Das ist alles, was ich verlange.«
    »Alles gut.«
    »Alles gut«, echote Bill.
    Gerade in diesem Moment kam die Schwester herein und verkündete mit der beherrschten Stimme einer Stewardeß, daß es ein Junge sei. Malcolm Pollen hatte die Welt betreten, genauer gesagt, Australien.
    George wollte nichts davon hören, das Restaurant zu schließen, und um sieben Uhr war es zur Dinnerzeit offen und überfüllt. Während der Abend fortschritt, kamen die üblichen Trunkenbolde herein und bettelten um Alkohol. Zwei wurden besonders unangenehm. Einer war Deutscher, der andere Tscheche. Sie schlugen auf den Tisch und drohten zu singen. Sie verlangten, die dreiköpfige Kapelle solle Lili Marleen spielen.
    George versuchte, den einen auf tschechisch zur Vernunft zu bringen. Es half nichts. Der Tscheche fing an zu weinen und sagte, er sei so weit weg von
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