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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
Autoren: Peter Ustinov
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hatten beide die Hoffnung schon vor langer Zeit aufgegeben.
    Sie lag neben ihm in ihrem schmalen Bett, und ihr ganzes Wesen war lebendig, voll Sehnsucht und warm. Als er die Augen schloß, wußte er, daß die schönste Frau der Welt die seine geworden war und er zum begehrenswertesten aller Männer. Die Illusion der Vollkommenheit hat viele Ebenen, und da sie eine Illusion ist, gehorcht sie dem Geist. Die Verliebtheit dauerte nicht lange. Sie waren zu alt, um allzuviel Zeit damit zu verlieren, ein Quantum konventioneller Poesie aus dem Anblick des Mondes zu ziehen, in einer Nacht, die zu kalt war zum Küssen. Es war für beide zu spät im Leben, um sich gegenseitig mit vielsagenden Textstellen aus populären Schlagern zu erregen, diesen vorgefertigten Stückchen schneller Verführung, die rund um die Uhr aus dem Radio strömten, diesem Casanova der kleinen Leute. Für sie beide waren es die Augenblicke wohligen Nichtstuns vor einem Kaminfeuer, das Klirren einer Teetasse auf dem Unterteller, das Summen des Wasserkessels, das Gefühl, einander schon lange zu kennen, vielleicht schon von Jugend an, die Geborgenheit boten. Aber als Frau, und als kräftige Frau zumal, begann Ida bald jene drängenden und manchmal unheilvollen Eigenschaften zu entwickeln, die ihre Schwestern Messalina und Delila und Lady Macbeth in großzügigeren Zeiten der Geschichte so wirksam eingesetzt hatten. Obwohl sie und Jifi noch vor kurzem, und gezwungenermaßen, mit dem bloßen Überleben zufrieden gewesen waren, nahm Ida ihr neu gefundenes Glück viel rascher, als er es wagte, für selbstverständlich und begann ihm einzureden, daß die Arbeit an dem Wasserkraftwerk unter seiner Würde sei. »Aber Geld gut«, wandte er dann ein, »sechzig australische Pfund pro Woche!«
    »Du bist was Besseres als ein einfacher Arbeiter«, lautete ihre Antwort, die sie stets mit absurder, doch gefährlicher Leidenschaft vorbrachte. »Du hast Klasse. Sieh dir deine sensiblen Hände an. Willst du dein Leben in diesem lausigen Tunnel verbringen, jetzt, wo du mich gefunden hast? Erst letzten Freitag flog wieder ein Itaker in die Luft, netter Junge, mit wunderbarer Singstimme. Kein Wunder, daß das Geld gut ist – die Arbeit ist gefährlich. Nein, Georgie, du hast jetzt Verantwortung, und es ist Zeit, daß du dein eigener Herr wirst.« Was meinte sie damit? Er starrte seine Hände an und sah dort nichts besonders Sensibles – zehn spachtelförmige Finger, die in rissigen Nägeln endeten. Er durfte nicht vergessen, sie zu reinigen. Ohne Gegenargumente konnte er nur wiederholen: »Geld gut.«
    »Hör zu«, sagte sie leise, indem sie ihre weibliche Taktik mit der Grazie einer Lokomotive änderte, »du kennst doch Aldo Zenoni. Er arbeitete damals auch zuerst im Tunnel, wie alle anderen neuaustralischen Jungs. Dann fing er an, zerrissene Arbeitsklamotten zu flicken. Alle kamen sie zu ihm. Er machte gute Arbeit, weißt du. Dann heiratete er eines Tages eine Irin, ein Mädchen aus dieser Stadt. Sie gab ihm das Selbstvertrauen, das ihm fehlte. Das ist’s, wozu Frauen da sind. Er verließ den Tunnel und eröffnete ein Geschäft. Jetzt besitzt er das Venezia-Herren-und-Damen-Bekleidungsgeschäft in Billiwoonga, mit einer Filiale in Canberra, die Pullover an die Botschaften verkauft.«
    »Ja, das ist ein Einzelfall«, erwiderte Jifi kläglich. »Ein Einzelfall? Hast du diese dreiachsigen Lastwagen rumfahren sehen, mit dem Namen dieses Mannes an der Tür, diese Polen, dessen Namen niemand aussprechen kann? Der größte Fuhrunternehmer weit und breit. Wie hat er angefangen? Im Tunnel. Hielt die Augen offen. Merkte, daß es einen Mangel an Transportmöglichkeiten gab. Fing mit einem Vorkriegskarren an. Jetzt hat er dreißig, funkelnagelneu. Oder nimm die Deutschen. Sie halten zusammen wie die Juden. Alt-Heidelberger Likörfabrik, Ottos Delikatessenladen, K.K.’s Chemische Reinigung, die neue Garage an der Ecke River Street und Imperial Way, die mit Volkswagen handelt – alles gehört Deutschen, und die Besitzer kamen zuerst alle hierher, um im Tunnel zu arbeiten. Nur die Hoffnungslosen bleiben bei der Arbeit in den Bergen. Weil sie gutes Geld machen. Aber was tun sie damit? Sie kommen am Wochenende herunter, mit fünfzig, sechzig, siebzig Pfund in der Tasche, und sie suchen nach Frauen. Es gibt keine. Hier in Billiwoonga kommen zehn Männer auf eine Frau. Du hast Glück, mich gefunden zu haben, hast du wirklich. Dann beschickern sie sich, fangen an zu prügeln und kehren
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