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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
Autoren: Peter Ustinov
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größer, als er gedacht hatte, und er war enttäuscht und verängstigt zugleich. Einsamkeit packte ihn, während sein Auge die Skyline aufnahm, sein Ohr den Verkehrslärm, das Summen industrieller Geschäftigkeit. Nun, er blieb nicht lange dort, sondern war bald in einem großen modernen Bus unterwegs in die Stadt Billiwoonga. Seine neue Heimat war seltsam in ihrer unbekümmerten Majestät, ihrer ungeheuren grünen Weite, mit Licht und Schatten gesprenkelt, während die trächtigen Wolken in endloser Prozession von Horizont zu Horizont zogen.
    Auch wenn die Landschaft unbelebt war, schien sie in dauernder Bewegung. Billiwoonga, auf der Landkarte stolz mit etwas fetteren Buchstaben markiert als manche der umliegenden Städte, erwies sich als zufällige Ansammlung von Häusern im modernen Vorortstil, die an die Wohnquartiere verheirateter Offiziere in einem entlegenen Luftwaffenstützpunkt erinnerte. Es gab eine gotische Kirche, die direkt aus einem trostlosen, nebligen Stadtteil Londons eingewandert sein konnte; ein spärliches kleines Kriegerdenkmal, mit ein paar Namen darauf, an die einige winzige Blumensträußchen in seinem Schatten erinnerten; eine Reihe von Geschäften; ein langes, flaches Gebäude, das einen schmiedeeisernen Laubengang mit geriffelten Pfosten vorzeigen konnte und sich stolz als Royal Antipodes Hotel bezeichnete; und ein sehr neues Bauwerk in zeitgenössischer Bushaltestellenbauweise, wo Exsoldaten zusammenkommen, Bier trinken, Tischtennis spielen und sich erinnern konnten. Nur die Hauptstraße war geteert, und dies auch nur etwa hundert Meter auf beiden Seiten jenseits der Stadtgrenzen.
    Die Arbeit an dem geplanten Wasserkraftwerk war schwer, aber der Lohn dafür in jeder Hinsicht gut. Er war vielleicht ein bißchen alt für solche Schwerstarbeit, aber die körperliche Anstrengung ließ ihn seine Probleme vergessen, und es tat gut, aus schierer Erschöpfung einzuschlafen. Was er fürchtete, waren die Wochenenden. Hier war es nicht wie auf dem Schiff; hier gab es keine Chance, sich der Geselligkeit zu entziehen. Es gab nicht einmal die Möglichkeit, andere Tschechen zu meiden, und bald begann ihn ein irrationales Heimweh zu plagen, die Sehnsucht nach einem Land, das nur auf unbestimmte Art seine Heimat gewesen war, und auch dies nur unter bedrückenden Umständen.
    Es war ein Zusammenprall von Einsamkeiten, der ihn mit Ida zusammenbrachte. Sie war ein blondes Mädchen, hoch in den Jahren endgültiger Altjungfernschaft, die starken Tee aus nicht allzu sauberen Tassen im Café Anzac servierte, einem hölzernen Schuppen, dessen Inneres auf eine leicht verzweifelte Art fröhlich genug war, um die Trostlosigkeit draußen noch zu unterstreichen. Idas Blondheit war keine, mit der Menschen zur Welt kommen, und ihre Haut war von Puder verstopft, was eine entschlossene Gegenwehr gegen die Gleichgültigkeit der Zeit und die Roheit der Natur verriet. Ihre kräftige Adlernase und die wäßrigen blauen Augen, komisch tief eingebettet, gaben ihr das Aussehen eines deutschen, mit internationalem Hochadel entfernt verwandtem Fürsten um die Wende des neunzehnten Jahrhunderts. Andererseits, und abgesehen von ihrem Kopf und ihrer schneidend unmusikalischen Stimme, war ihr Körper voll und verschwenderisch, wie Jifi jedesmal feststellen konnte, wenn der üppige Busen über seinem Tisch bebte. Es fiel ihm immer schwerer, sich auf das karge Menü zu konzentrieren.
    Sie blieb nicht unberührt von seinen Aufmerksamkeiten. Oft warf sie Blicke voll beflissener Nachlässigkeit in die Richtung dieses erbärmlichen kleinen Burschen mit Augen von der Farbe trockener Steine, der zu schüchtern war, um seine Stimme zu erheben und Tee zu bestellen. Sein Lächeln allerdings war angenehm, und ihr gefiel sein Gang, wenn er hereinkam, dieser vorgeneigte, wiegende Gang eines leichtgewichtigen Mannes von unerwarteter Körperkraft. Sein Nacken war nie erwachsen geworden. Er war jung und wehrlos und unterernährt. Nach einer Weile wurden das kleine Lächeln, das Zögern bei der Wahl des Essens, die linkischen Späße über sein schlechtes Englisch zur Gewohnheit, und es dauerte auch nicht lange, und sie verließen das Café gemeinsam. Aus Erfahrung wußte er, wann das Lokal schloß, und folglich ging er immer später zum Abendessen. Eines Tages fanden sie sich Seite an Seite auf dem Bürgersteig. Es war dunkel, und sie hakte sich bei ihm unter. Nach ein paar Metern küßten sie sich, beide mehr erstaunt als leidenschaftlich. Sie
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