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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
Autoren: Peter Ustinov
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zu Hause. Was wollte er denn? Slivovitz – zur Erinnerung. Bill kam an den Tisch. Der Deutsche fing an, Australien besoffen herunterzumachen, und verlangte Schnaps. Irgend etwas, was immer da sei. »Gib ihnen lieber Slivovitz in einer Kaffeetasse, damit sie ruhig bleiben«, sagte Bill leise.
    »Wenn wir sie bedienen, und sie fangen an, die Kneipe zu demolieren, können wir nicht die Polizei rufen. Wir haben keine Lizenz«, sagte George.
    »Wir werden sagen, sie sind schon besoffen hereingekommen.«
    »Okay, wenn du es sagst.«
    Einen Augenblick später warf Bill von seinem Platz hinter der Registrierkasse einen Blick nach den Betrunkenen. Sie waren nicht mehr betrunken, sondern notierten verstohlen etwas auf Zettel. Er schaute zur Durchreiche und sah, daß der Kellner mit zwei Kaffeetassen auf einem Tablett losging. Er rannte zwischen den Tischen hindurch, um den Kellner abzufangen, und gerade bevor dieser bei den Betrunkenen anlangte, stieß er das Tablett zu Boden und brüllte: »Du ungeschickter Idiot, kannst du nicht aufpassen?«
    George kam hinzu, als er den Lärm hörte, und sah, wie Bill sich bei den Betrunkenen entschuldigte. »Die Tasse am Boden sicherstellen«, sagte der eine Betrunkene zu dem anderen, jetzt stocknüchtern. Bill trampelte auf die Tassen.
    George wußte sofort, daß die Betrunkenen Inspektoren von der Abteilung Einundzwanzig waren, einem sonderbaren fliegenden Kommando von Agents provocateurs, die von der Regierung in New South Wales eingesetzt wurden, um Gastwirte zu einem Verstoß gegen die Lizenzbestimmungen zu verführen. Sich betrunken zu stellen war eine ihrer erfolgreichsten Strategien, und man war sich nicht zu gut, Agenten verschiedener Nationalitätengruppen einzusetzen, um den Patriotismus und das Heimweh, und schlimmer noch, die Gutmütigkeit der eingewanderten Kneipenwirte auszunützen. George konnte sich diesen Typ des Deutschen oder Tschechen gut vorstellen, der seine Heimat verließ, nur um anderswo Polizist zu werden. Für ihn war dies kaum der Sinn eines freiwilligen Exils, aber er wußte, es gab Leute auf dieser Welt, die sich außerhalb einer Uniform, oder wenigstens außerhalb der Zwangsjacke einer Autorität, verloren fühlten. Der deutsche Inspektor wies sich brüsk aus und verlangte auf deutsch, die zerbrochene Kaffeetasse zu untersuchen. Bill wurde weiß vor Zorn. Er fing an, Beleidigungen zu brüllen, ebenfalls auf deutsch. Eine dicke Ader, verzweigt wie ein Baum, zeichnete sich ab und pochte an seiner Schläfe. Einen Augenblick schien seine Wut in Epilepsie überzuborden. Die zwei Inspektoren brüllten zurück, und ein paar Abendgäste sprangen auf, um den Zank durch das Gewicht ihrer Meinungen zu bereichern.
    George hatte Bill noch nie Deutsch sprechen, geschweige denn brüllen hören. Sanitäter? Er sah plötzlich einen Raum voll nackter Menschen, Männer und Frauen, manche von durchsichtiger Magerkeit, manche aufgebläht vor Hunger, und er roch den Verwesungsgeruch. Die Stimme trug ihn zurück in das Halbdunkel, zu den weißen Kitteln der Ärzte, dem pergamentenen Gelb nackten Fleisches, dem Blitzen von Gläsern, der Routine des Alptraums. Und dann der stämmige Dr. Tichte, der gelassen die Spritze aufzog, mit einem Wattebausch tupfte und seine plumpe Hand nach Instrumenten ausstreckte.
    Husten. Husten. Einatmen. Tiefer. Schafft ihn fort. Untauglich. Eine ruhige, rationale Stimme. Und hinter ihm, in Braun und mit einer braunen Kappe, hysterisch brüllend, während eine dicke Ader, wie ein Baum, an seiner Schläfe pochte, ein anderer Mann: Stillgestanden! Ihr Schweine! Schweine! Jüdische Rassenschänder!
    Während das Gebrüll anschwoll, wankte George in die Küche und erbrach sich auf den Boden. Jetzt erinnerte er sich an seinen Freund. Als er nach Hause kam, war das Haus leer. Ida war im Krankenhaus und überschlief Schmerz und Zufriedenheit. Er machte Licht. Es war zu hell. Er machte es wieder aus. Es war zu dunkel. Er machte das Fenster auf. Es war zu kalt. Er machte ein anderes auf und starrte in die Nacht. Er glühte vor Fieber. Er mußte seinen Partner töten. Zum Gedenken an jene, die sinnlos gestorben waren. Zuerst mußte er ihn foltern. An die hundertmal spielte er sich die Szene im Geist vor, perfektionierte sie, feilte sie aus. Auf hundert verschiedene Arten sah er Bill schreien, sich zusammenkrümmen, um Gnade flehen. Es würde keine Gnade geben. Er würde ihn mit seinem eigenen Gewehr erschießen, mit seinem Geschenk. Das ist Ironie.
    Aber warum
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