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Zwei auf Achse

Zwei auf Achse

Titel: Zwei auf Achse
Autoren: Werner Schrader
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    Lutz richtete sich im Bett auf und lauschte. Aus dem Schlafzimmer seiner Großmutter drang leises Schnarchen zu ihm herüber. Da knipste er die Nachttischlampe an und warf die Decke zurück. Hastig streifte er den Schlafanzug ab und stopfte ihn in den Campingbeutel. Dann zog er sich an.
    Zuerst eine lange Unterhose! Darauf hatte Joachim bestanden. Wenn du dich unterwegs erkältest und in einer gefährlichen Situation niesen mußt, in einem Versteck oder so, kann die ganze Sache auffliegen. Das darf nicht passieren! Natürlich mußt du auch Wollsocken anziehen und feste Schuhe, hatte er gesagt. Es wird sich nicht vermeiden lassen, daß wir hin und wieder mal ein paar Kilometerchen zu Fuß latschen, und wenn du dann keine vernünftigen Treter anhast, kommste nicht weit. Pulli und Regenzeug nicht vergessen! Warm und wasserdicht verpackt, kannste jedes Wetter meistern. Wenn’s zu heiß wird, ziehste dir die Oberklamotten vom Leib, fertig! Aber gegen Kälte ist kein Kraut gewachsen. Als Begleitgepäck nur das Allernötigste, ‘n zweiten Pulli oder ‘n Trainingsanzug, vielleicht noch ‘ne Unterhose und ‘n Unterhemd. Und möglichst ein Paar Turnschuhe. Selbstverständlich Seife und ein Handtuch! Wenn wir irgendwo in einer fremden Stadt aufkreuzen, müssen wir immer aussehen, als ob Mutti uns gerade gebadet hätte und wir nur mal eben auf die Straße gegangen wären, um zu sehen, ob Papi noch nicht käme!
    Ja, der Joachim hatte sich Gedanken gemacht. Er wollte nichts dem Zufall überlassen.
    Lutz nahm den Campingbeutel auf und schaute nach, ob er alles beisammen hatte. Turnschuhe, Waschzeug, Schlafanzug, ein blauer Pulli, Unterwäsche, Socken: okay! Das Notizbuch mit den Namen und die vergilbte Geburtstagspostkarte, die unter Umständen ein wichtiges Beweisstück sein konnte, schob er in die hintere Hosentasche. Er zog den graugrünen Parka an, nahm die Schuhe in die eine, den Campingbeutel in die andere Hand, löschte das Licht und tappte auf Zehenspitzen an die Zimmertür. Vorsichtig öffnete er sie und schlüpfte hinaus auf den Flur.
    Seine Oma schnarchte immer noch. Lutz schloß die Tür zum Treppenhaus auf, drückte leise die Klinke herunter, hängte den Schlüssel an das Schlüsselbrett, horchte und trat, als er nichts hörte, ins Treppenhaus hinaus. Rasch schloß er mit seinem eigenen Schlüssel die Tür wieder ab, warf den Campingbeutel über die Schulter und schlich die Stufen hinab, ohne das Minutenlicht einzuschalten.
    Hinter Sägebiels Wohnungstür hörte er erregte Stimmen, die beiden Eheleute lagen sich wieder in den Haaren, aber bei Menzels war alles ruhig. Auch die Bäuerleins und die Schmidts schienen schon zu schlafen. Hinter ihren Türen brannte kein Licht mehr.
    Endlich war Lutz unten an der Haustür.
    Wenn er erst draußen war, konnte nichts mehr schiefgehen. Fremden, die ihm begegneten, war er keine Rechenschaft schuldig, denen mußte er nicht sagen, wohin er mitten in der Nacht mit seinem Campingbeutel unterwegs war. Aber wenn ihn hier im Hause jemand sah, mußte er fürchten, daß man seine Oma weckte, und dann fiel alles ins Wasser. Wenn sie morgen früh sein Verschwinden bemerkte, war er längst dort, wo ihn niemand suchte, in München.
    Er schloß die Haustür hinter sich ab, setzte sich auf den Steinsockel und zog die Schuhe an.
    Es war 22 Uhr 30. Bis zum Hauptbahnhof ging man 20 Minuten zu Fuß. Um 22 Uhr56 fuhr der Traumexpreß! Lutz durfte sich nirgends mehr aufhalten oder aufhalten lassen. Mit festen Schritten marschierte er los.
    Was hatte Joachim gesagt? Gehen, gehen, immer nur gehen! Auf keinen Fall laufen! Das ist verdächtig. Diebe laufen und Ausreißer. Die werden verfolgt und geschnappt. Wer sich aber Zeit läßt, hat nichts verbrochen, der muß nicht fürchten, daß sich die Polizisten nach ihm umdrehen oder der Streifenwagen anhält, der kommt sicher ans Ziel.
    Auf der Weserbrücke krakeelten ein paar Betrunkene. Lutz wechselte auf die andere Straßenseite hinüber, um nicht von ihnen belästigt zu werden. Hinter der Bauerschen Buchhandlung in der Balgebrückstraße, wo die steinerne Treppe zur Kirche St. Johann hinunterführt, wollte Joachim auf ihn warten.
    Aber er war noch nicht da.
    Lutz blickte auf die Uhr. Noch 21 Minuten bis zur Abfahrt des Zuges. Viel Zeit war nicht mehr über. Hoffentlich war bei Joachim alles klar gegangen! Lutz spähte die Straße entlang. Die Betrunkenen auf der Brücke waren noch zu hören, aber Joachim noch nicht in Sicht. Wenn er sich
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