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Zwei auf Achse

Zwei auf Achse

Titel: Zwei auf Achse
Autoren: Werner Schrader
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Schlafzimmer auf dem Kleiderschrank stehen hat und mindestens dreimal die Woche herunterholt und sich damit vor dem Spiegel bewundert. Wenn er ihren Verlust bemerkt, wird er der Polizei natürlich sagen, daß sie nach einem Jungen mit ‘ner roten Reisetasche Ausschau halten soll.“ Er lachte grimmig. „Ich wette, daß er sich mehr Sorgen um seine dämliche Tasche macht als um mich.“
    Lutz putzte sich die Nase.
    „Ist dein Vater denn tatsächlich so unangenehm?“ fragte er.
    „Unangenehm?“ wiederholte Joachim. „Mein Alter ist der letzte Mensch auf Gottes Erdboden, das kann ich ohne die geringste Übertreibung sagen. Der hat mich schon geprügelt, als ich noch im Kinderwagen lag. Und nicht nur ein paar Klapse, du, sondern immer so, daß ich tagelang was davon hatte. Meistens hat er seinen Latschen genommen, und eine Zeitlang hatte er sogar eine Peitsche, eine selbstgemachte mit einem kurzen Holzgriff und mehreren Lederriemen dran. Da kannste aber das Jodeln lernen, sag’ ich dir, wenn du damit welche auf den Nackten kriegst! Da gelingen dir aber die höchsten Töne, du! Ich hab’ das verfluchte Ding dann eines Tages unbemerkt in den Mülleimer gesteckt und vom Küchenfenster aus beobachtet, wie es mit den Abfällen zusammen im Bauch des Müllwagens verschwand. Frag nicht, wie mein Alter da getobt hat! Wenn meine Mutter nicht dazwischengekommen wäre, hätte er mich glatt umgebracht. Und darum, Lutz, entschuldige, kann ich nicht begreifen, wieso du deinen Vater suchen willst! Sei froh, daß du ihn nicht kennst und er sich nicht um dich kümmert! Wer weiß, wieviel Prügel du sonst schon eingefangen hättest.“
    „Mein Vater muß ja nicht so sein wie deiner“, sagte Lutz. „Es gibt auch anständige.“
    „Kann schon sein“, erwiderte Joachim, „ob aber deiner dazugehört, ist noch die große Frage. Oder findest du es etwa anständig, daß er deine Mutter damals mit ‘nem Kind sitzenließ? Ich für meinen Teil finde das höchst unanständig.“
    „Du kennst meine Mutter nicht“, sagte Lutz. „Wenn ich auf die ‘reingefallen wäre, hätte ich auch eines Tages die Flucht ergriffen. Ich wette, daß mein Vater ein prima Kerl ist. Ich bin doch auch in Ordnung, hab’ keine Macke und so. Das muß ich von ihm geerbt haben. Meine Mutter ist nämlich unausstehlich, ein richtiges Scheusal, wie meine Oma immer sagt! Und das sagt so leicht keine Mutter von ihrer Tochter.“
    Joachim kramte eine halbe Mettwurst, ein Stück Butter und das geschnittene Schwarzbrot aus seiner Tasche.
    „Hoffentlich machst du keinen Fehler“, sagte er. „Na ja, mir kann es egal sein, du mußt ja wissen, was du tust.“ Er öffnete sein Taschenmesser, bestrich zwei Schnitten Brot mit Butter und säbelte zwei dicke Scheiben Wurst ab. „Hier“, sagte er, während er Lutz Brot und Wurst hinhielt. „Die Pelle mußte ausspucken. Warte mal, ich schneide sie ein. So!“
    Sie aßen und schwiegen. Der Zug raste durch die Nacht. „Zu blöd, daß ich nicht auch was zum Futtern mitgenommen habe!“ sagte Lutz nach einer Weile. „Ich könnte jetzt gut und gern ‘nen Schluck zu trinken vertragen.“
    „Damit kann ich dem Herrn dienen“, sagte Joachim. „Was darf es denn sein? Kaffee, Tee, Bier oder Kakao?“
    „Sag bloß, du hast auch noch irgendeine Buddel eingesteckt?“ rief Lutz voll Bewunderung.
    „Irgendeine nicht“, antwortete Joachim, „sondern eine ganz bestimmte. Ich wollte ja erst ‘ne Flasche Wein nehmen, den besten, den mein Alter im Keller hat, um ihm eins auszuwischen; aber damit würden wir uns um den Verstand saufen, und das darf nicht sein. Kinder, die besoffen sind, fallen überall auf. Hier, probier mal, das ist ein ganz passabler Apfelsaft.“
    „Ja, nicht schlecht“, bestätigte Lutz, nachdem er getrunken hatte, „der läßt sich trinken.“
    Sie aßen die ganzen Vorräte auf. Joachim warf die Papierreste aus dem Fenster und wischte sich den Mund.
    „So“, sagte er, „das kann uns keiner mehr wegnehmen. Jetzt müssen wir schleunigst auf Tauchstation gehen, wir sind nämlich in sieben Minuten in Hannover.“
    „Woher weißte das denn so genau?“ fragte Lutz. „Haste dir die Zeiten aufgeschrieben?“
    „Quatsch“, antwortete Joachim, „die hab’ ich im Kopf. Ich hab’ mich bei der Auskunft erkundigt, wie lange wir fahren, wo wir halten und so weiter, per Telefon, weißte, mit verstellter Stimme, damit die glaubten, ich sei ein Erwachsener. Sicher ist sicher, hab’ ich mir gesagt. Wenn die
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