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Zwei auf Achse

Zwei auf Achse

Titel: Zwei auf Achse
Autoren: Werner Schrader
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Polizei erst hinter uns her ist, fragt sie vielleicht auch bei der Bahnhofsauskunft nach, und von der könnte sie unter Umständen den entscheidenden Wink kriegen.“
    „An was du alles gedacht hast!“ rief Lutz staunend. „Da wäre ich nie drauf gekommen.“
    Wenig später verlangsamte der Traumexpreß seine Geschwindigkeit und hielt: Hannover. Die beiden Jungen lagen still und lauschten. Sie hörten die Rufe einiger Männer, die sich anscheinend am Gepäckwagen zu schaffen machten, das Hupen eines Elektrokarrens und dann endlich das Signal zur Weiterfahrt des Zuges.
    „Das hätten wir heil überstanden“, sagte Joachim. „Der nächste Stop ist erst wieder in Würzburg, bis dahin können wir ungestört schlafen.“
    Lutz antwortete nicht. Er war in Gedanken schon am Ziel ihrer Fahrt und versuchte sich vorzustellen, wie sein Vater aussah, ob er groß war oder klein, dick oder dünn, ob er eine Glatze hatte, oder ob er eine Brille trug. Er war sicher, daß er ihn finden würde, ganz sicher. Einer der beiden Männer, deren Namen er in sein Notizbuch geschrieben hatte, oder der Absender der an seine Mutter gerichteten Geburtstagskarte mußte es sein! Seine Oma hatte ihm die Namen genannt, als sie ihm von den Liebschaften ihrer Tochter erzählte, ohne zu ahnen natürlich, daß er sie sofort aufschrieb. Auch die Karte, die beim Renovieren der Wohnung auf dem Kleiderschrank unter einer fleckigen Zeitung gefunden worden war, hatte sie ihm gezeigt, und er hatte sie behalten. Noch viel mehr Männer waren es gewesen, aber die andern kamen als sein Vater nicht in Frage. Die Männer aus dem Notizbuch jedoch und der Mann, der die Geburtstagskarte geschrieben hatte, waren vor zwölf oder dreizehn Jahren mit seiner Mutter zusammen. Das könnte hinkommen. Das mußte hinkommen!
    Es wurde Lutz heiß und kalt bei dem Gedanken, daß er vielleicht in zwei, drei Tagen seinem leiblichen Vater gegenüberstehen würde. Ein Mensch ohne Vater ist nur ein halber Mensch, dachte er. Man muß doch wissen, von wem man abstammt, was für Anlagen man mit auf die Welt gekriegt hat und so. Seine Mutter kannte er, die interessierte ihn nicht, die sollte ruhig für immer verschwinden. Seine Großmutter hatte ihm alles über sie erzählt. Aber seinen Vater mußte er kennenlernen!
    Gut, daß Joachim sofort bereit gewesen war, ihn zu begleiten. Dazu gehörte bei einem Vater, wie er ihn besaß, schon eine ganze Portion Mut. Unter Umständen prügelte der ihn grün und blau, wenn sie irgendwann wieder nach Hause kämen. Vielleicht sollte Joachim sich dann einen Polizisten als Bewacher mitnehmen, der könnte den Kerl gleich abführen, wenn er mit der Prügelei anfangen sollte.
    „Du, Joachim, schläfste schon?“ fragte Lutz leise.
    „Ja, du auch?“ fragte der zurück.
    „Nee, ich überleg’ gerade, was wir tun können, wenn wir zurückkommen und dein Vater dich wieder verhauen will.“
    „Der verhaut mich nicht mehr.“
    „Was?“ rief Lutz erstaunt. „Du hast doch gesagt, daß er dich immer halbtot prügelt?“
    „Das ist ein für allemal vorbei!“ rief Joachim grimmig. „Ich lasse mich erst wieder zu Hause sehen, wenn ich ihm gewachsen bin. Sollte er mich dann noch einmal anfassen, wehre ich mich, und er kriegt die Prügel. Er ist doch nur so’n mieser, kleiner, unterentwickelter Pinscher, der den ganzen Tag im Büro herumhockt und schon keucht, wenn er bei uns die Treppe hochsteigt. Ich dagegen bin trainiert und schon jetzt fast so groß wie er. Was meinst du, warum ich in den Boxverein gegangen bin? Nur um meinem Alten eines Tages alles das heimzuzahlen, was er mir angetan hat. Ich freu’ mich jetzt schon auf diesen Kampf mit vertauschten Rollen.“
    „Hast du denn keine Angst, daß er dich dann in ein Erziehungsheim schickt?“ fragte Lutz.
    „Pah, das soll er ruhig tun! Da hab’ ich es bestimmt besser als zu Hause.“
    „Ich brauche mir also kein Gewissen daraus zu machen, daß ich dich gebeten habe, mitzufahren?“ fragte Lutz.
    „Nee, bestimmt nicht“, entgegnete Joachim, „höchstens ein gutes.“

 
     
    Als der Traumexpreß in Würzburg einlief, graute bereits der Morgen. Lutz erwachte, öffnete blinzelnd die Augen, hörte Stimmen auf dem Bahnsteig, Fußgetrappel, das Geschurre eines eiligen Elektrokarrens, und erschrak. „Joachim“, rief er, „Mensch, wach bloß auf! Ich glaube, wir sind da!“
    „Mach keinen Quatsch“, antwortete der. „Wie spät haben wir’s denn?“
    „Kurz nach fünf.“
    „Bist du
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