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Zwei auf Achse

Zwei auf Achse

Titel: Zwei auf Achse
Autoren: Werner Schrader
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Scheibe, damit wir ‘rauskriegen, auf welcher Seite der Bahnsteig ist, bevor der Zug einläuft!“
    Sie preßten beide das Gesicht ans Fenster und starrten angestrengt nach vorn, Lutz an der linken, Joachim an der rechten Seite.
    „Du, da steht München-Ost!“ rief Lutz plötzlich. „Ob wir da noch durchfahren?“
    „Nee“, antwortete Joachim, „weiter geht’s nicht. Kannst du was von einem Bahnsteig sehen?“
    „Ja, ich glaub’, er ist hier an meiner Seite.“
    Joachim kam zu Lutz herüber.
    „Tatsächlich! Also dann bei mir ‘raus und neben den Mercedes gelegt! Komm!“
    Sie öffneten die rechte Wagentür und stiegen vorsichtig aus. Der Traumexpreß bremste und verlor rasch an Geschwindigkeit. Sie schoben sich halb unter das Auto und waren still. Immer langsamer fuhr der Zug. Lutz umklammerte den Campingbeutel mit beiden Händen. Sein Herz klopfte stark. Er starrte auf den schillernden Ölfleck unter dem Auto, roch den Benzindunst, sah, wie sich ein Tropfen vom Motor löste, erkannte Menschen auf dem Bahnsteig, vernahm die vielen Geräusche, die zu einem großen Bahnhof gehören, das Pfeifen, das Rufen, das Quietschen eiserner Räder, und — schloß die Augen.
    Plötzlich stand der Zug.
    „Los“, rief Joachim, „komm!“
    Da erwachte Lutz aus seiner Erstarrung. Mit einem Satz war er bei Joachim auf dem Schotter neben den Geleisen, folgte ihm wortlos und kletterte keine zehn Sekunden später auf den benachbarten Bahnsteig. Die Leute, die sich dort bewegten, hatten ihnen den Rücken zugekehrt, es schien, als wollten sie jeden Augenblick auf der Gegenseite in einen Zug einsteigen. Nur ein kleiner Junge hatte sie beobachtet, ein Knirps von drei oder vier Jahren.
    „Mama“, rief er, „da!“
    Joachim winkte und warf ihm eine Kußhand zu. Fast laufend erreichten sie den Ausgang. Draußen vor dem Bahnhof erst blieb Joachim stehen.
    „Na“, rief er, „wie haben wir das geschafft? Echte Profiarbeit, was?“ ‘
    „Mensch“, sagte Lutz, „mir wäre fast das Flerz stehengeblieben.“
    Joachim winkte mit der Hand ab.
    „Beim nächstenmal biste schon viel ruhiger, sollst sehen, dann entwickelste schon Routine.“

 
     
    Die beiden Jungen verließen den Bahnhofsplatz und suchten eine Bäckerei.
    Joachim zog im Gehen sein Portemonnaie aus der Hosentasche. „So“, sagte er, „nun will ich mal nachzählen, wieviel mein Alter in der Brieftasche gehabt hat. Ein, zwei Hunderter dürften bestimmt dabei sein.“
    Plötzlich blieb er stehen.
    „Mensch, ich werd’ verrückt! Ein Zwanziger und zwei lumpige Zehner! Das ist vielleicht ein Reinfall! Und ich war sicher, ein paar Blaue geschnappt zu haben!“
    „Ich hab’ auch zwanzig Mark mit“, sagte Lutz. „Das ist doch ‘ne ganze Menge!“
    „’ne ganze Menge ist gut!“ rief Joachim. „Mit siebzig Mark kannste dich heutzutage nicht lange über Wasser halten, du, die hauste schnell auf den Kopf! Aber pfeif drauf, wir werden schon durchkommen, auch ohne das Geld von meinem geizigen Alten.“
    Sie gingen weiter, fanden eine Bäckerei und betraten den Laden. Gerade wurde ein kleines Mädchen bedient. Es bekam eine Tüte Semmeln und eine Brezel. Die Verkäuferin nahm dem Kind das Geld ab und zählte nach.
    „Ist das alles, was du hast?“ fragte sie.
    Das Mädchen nickte.
    „Sieh doch noch mal nach, es sind 50 Pfennig zu wenig.“ Die Kleine steckte ihre Hand in die Schürzentasche, zog sie aber gleich wieder leer heraus.
    „Nix mehr drin“, sagte sie und sah die Verkäuferin unsicher an.
    „Hm“, sagte die, „gib mir die Tüte noch einmal zurück, ich nehm’ vier Semmeln heraus, dann stimmt’s so mit dem Geld.“
    Da schürzte das Mädchen die Lippen und begann laut zu weinen.
    „Die Mutter schlägt mich, wenn ich’s Geld verloren habe“, schluchzte sie und preßte die Tüte an sich. „Sie schlägt mich halt immer.“
    Die Verkäuferin sah sie erschrocken an.
    „Wirklich?“ fragte sie. „Armes Kind! Lauf zu und behalt deine Semmeln!“ Da drehte die Kleine sich wortlos um, öffnete die Tür und verschwand nach draußen.
    „Nicht zu fassen!“ murmelte die Verkäuferin. „Wie kann man ein Kind schlagen, wenn’s mal was verloren hat!“
    „Ja, da bleibt einem die Spucke weg“, bestätigte Joachim. „Wir hätten gern sechs Semmeln und ein Stück Kuchen, vielleicht den da mit den Rosinen.“
    „Bitte sehr“, sagte die Verkäuferin, „macht 2 Mark 60 zusammen.“
    Joachim bezahlte, und sie verließen das Geschäft. Wieder auf der
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