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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale
Autoren: Jakob Bosshart
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Salto
    mortale
    Eine Novelle
    von
    Jakob Bos+hart
    e B
    B
    Jakob Bos+hart
    Salto mortale
    (1910)
    eBOOK
    ebook-bibliothek.org
    BIBLIOTHEK
    lit era scripta manet
    Jakob Bosshart
    (07.08.1862 – 18.02.1924)
    1. Ausgabe, Mai 2006
    © eBOOK-Bibliothek 2006 für diese Ausgabe
    Textvorlage: „Früh vollendet“ von Jakob Bosshart,
    H. Haessel Verlag, Leipzig, 2. und 3. Aufl., 1919
    I.
    r war von einem Zirkus gefallen, wie etwa
    E Dinge von einem Karren rutschen und
    irgendwo am Wege liegen bleiben. Eine An-
    zeige im „Tagblatt“ führte ihn in die Schlauch-
    gasse, in die Dachwohnung eines hohen alten
    Hauses, zu der Witwe Seline Zöbeli, bei der er
    ein sehr bescheidenes Stübchen mietete, mit
    einem Bett, einem Tisch, zwei Stühlen, einer
    Kommode, die als Waschtisch dienen mußte,
    und einem tannenen Kasten. Es war alles abge-
    nutzte Habe mit Blößen in Lack und Farbe, mit
    Rissen und Flecken und sogar mit Brandwun-
    den, jedes Stück mußte eine lange schmerzli-
    che Geschichte haben.
    Er sah über diese Schäden gleichgültig hin-
    weg, er zeigte für jeglichen Luxus die Verach-
    tung derjenigen, die entschlossen sind, mit Nä-
    geln und Zähnen den Kampf ums tägliche Brot
    auszufechten. Und wer ihn ansah, den seltsa-
    men Mann, fühlte wohl, daß die Entschlos-
    senheit in ihm arbeitete. Er war mittelgroß,
    hager, eckig in den Formen, aber geschmeidig
    in den Bewegungen. Sein Kopf schien nicht
    gewachsen, sondern von ungeschickter Hand
    ins Grobe geschnitzt: Stirne, Nase, Backen-
    knochen, Kinn, alles stach kantig und trotzig
    hervor, dazu geschaffen, Stöße aufzufangen
    und zu vergelten, und über das ganze Gesicht
    zog sich eine ausgelaugte Haut, wie man sie
    bei Schauspielern sieht. Die dunkeln Augen la-
    gen tief in dem Knochengebälk drin und lauer-
    ten beständig auf gut Glück; sie konnten mild
    sein wie Ochsenaugen, aber in unbewachten
    Momenten stechen wie Dornen. Mit Worten
    war er sparsam, aber wenn er sprach, tat er es
    immer zwiefach, mit den Lippen und mit den
    beweglichen ausdrucksvollen Händen.
    Valentin Häberle ließ sich der wunderliche
    Mensch nennen. Seiner Sprache nach mußte
    seine Wiege irgendwo im Schwabenland ge-
    standen haben; das war aber auch alles, was
    man von seiner Jugendzeit mit Sicherheit er-
    schließen konnte: seine Blicke waren nach vorn,
    auf Brot und Zukunft gerichtet, was hinter ihm
    lag, schien für ihn tot und abgetan, davon ließ
    er kein Wort verlauten.
    Einstweilen hatte er in einer Reitanstalt
    für die Vormittagsstunden Beschäftigung und
    damit ein kärgliches Brot gefunden. Jeden Tag,
    zur Sommer- wie zur Winterzeit verließ er das
    Haus um sechs Uhr morgens, nachdem er sich
    von der Frau Zöbeli eine Tasse Milchkaffee
    hatte reichen lassen. Die Mittags- und Abend-
    mahlzeiten genoß er, ohne zu deren Zuberei-
    tung fremde Hände in Anspruch zu nehmen,
    auf seinem Stübchen, in dessen Wänden und
    Möbeln sich nach und nach ein satter Geruch
    von Käse, Knoblauchwurst, Rauchspeck und
    andern Magenstopfern eingenistet hatte. Zu-
    weilen, wenn es Herrn Valentin Häberle nach
    etwas Starkem gelüstet hatte, drang der Geruch
    von Limburger Käse selbst in die Wohnstube
    der Frau Seline Zöbeli ein, die dann wohl etwa
    die Nase rümpfte und ihr ärgerliches „Pfui
    Kuckuck!“ ausstieß, jedoch an zweckdienlicher
    Stelle keinerlei Einsprache erhob. Denn sie war
    im übrigen mit ihrem ‚Zimmerherrn‘ zufrie-
    den: er war anständig und beglich pünktlich je
    am Ersten des Monates seine Rechnung, wobei
    er nie vergaß, zu dem schuldigen Sümmchen
    ein Zwanzigrappenstück als Zeichen seiner
    Zufriedenheit hinzulegen.
    Die arme Frau wußte das zu schätzen, sah
    sie doch in dem Nickelstück ein Pfund Brot,
    das nicht erst errackert werden mußte, Brot für
    die scharfen Zähne ihrer zwei Buben.
    Seline Zöbeli war eine geplagte Frau. Sie
    verdiente ihren Lebensunterhalt meist auf den
    Knien, als Putzerin in fremden Häusern; am
    Morgen, nachdem die Hausgeschäfte zur Not
    besorgt waren, hastete sie fort, kehrte um Mit-
    tag schnell in ihre Wohnung zurück, um ihre
    Kinder zu speisen, und verschwand dann wie-
    der wie ein Schatten. Neben der Last der Arbeit
    schleppte sie noch den Kummer um ihren toten
    Wilhelm und die schmerzliche Erinnerung an
    ein paar gute Jahre mit sich herum, und darun-
    ter litt sie schwerer als unter dem andern.
    Ihr Mann war Weichenwärter gewesen und
    hatte vor zwei Jahren einen Augenblick der Un-
    achtsamkeit oder Ermüdung oder den
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