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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar
Autoren: Sascha Reh
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Prokuristen Feldberg, dessen runde Stahlrandbrille immer ein wenig schief auf seiner Nase saß, und den übrigen Untergebenen, die nun, wie von einem maxwellschen Dämon gesteuert, mehr und mehr in Richtung des Schreibtisches zusammenströmten. Zwei Bankerlampen mit grünen Schirmen sorgten für staubige Lichtflecken auf dem mit Schriftstücken bedeckten Tisch; der Rest des Raums lag in geheimbündlerischem Halbdunkel. Zwar waren die Vorhänge vor den großen Fenstern aufgezogen, doch eine alte Linde, die sein Vater sich aus patriarchalem Eigensinn zu fällen weigerte, schluckte alles Sonnenlicht. Gemurmelte Anweisungen drangen zu ihren beflissenen Empfängern, zu denen Thomas seit über einer Viertelstunde nicht mehr gehörte. Die Unruhe der Unterhaltung vergrößerte sich. Thomas, der seinem Vater etwas Dringendes, etwas sehr Dringendes zu sagen hatte, rutschte auf seinem Stuhl herum.
    »Wir verteilen das Hardenberg-Depot um und verkaufen Lensing bei 7275«, sagte sein Vater zu Bornemann. Seine Sekretärin stenografierte derweil etwas, das er zuvor gesagt hatte; gleichzeitig stellte Ewald, der eben hereingekommen war, eine Frage, die mit dem Wechselkurs des kanadischen Dollar zu tun hatte. Thomas wusste, wovon sie sprachen; er war ein Teil dieses Betriebs. Doch es ging ihm jetzt um anderes, und er spürte die Entfernung zunehmen, in die er zu all diesem Zauber geraten war.
    »Ich muss mit dir reden«, sagte er jetzt. Er vermied schon seit einiger Zeit, seinen Vater direkt anzusprechen, weil er nicht wusste, wie. Er konnte nicht mehr »Papa« zu ihm sagen, dazu fühlte er sich längst zu alt; es lag nah, zum distanzierteren »Vater« zu wechseln, doch auch das kam Thomas unangemessen vor, als würde er dadurch den dynastischen Nimbus, den sein Vater für seine Firma und Familie vorgesehen hatte, unfreiwillig bestätigen. Sein Vater blickte auf; doch an seinem Blick erkannte Thomas, dass er nur seine Mitarbeiter vollzählig zum morgendlichen Briefing versammelt sah.
    »Wir haben noch keine Prognose für Viking«, eröffnete Feldberg, eine Kladde auf dem Unterarm, seinen Beitrag zur Besprechung; Thomas wusste, dass er sich einen ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht hatte. Ewald drehte sich zu ihm um, weil er erwartete, dass Thomas’ Bemerkung dennoch gehört werde. Doch sein Vater antwortete: »Wir legen das noch bis zum Mittag auf Eis, ich will erst abwarten, wie sich der   DAX   entwickelt.«
    Thomas stand auf, zog sein Jackett zurecht und ging einen Schritt auf den Schreibtisch zu. Sein Vater erwartete, dass er sich an der Unterredung beteiligte, denn er war nicht nur sein Sohn, sondern, was ungleich wichtiger war, noch immer sein Mitarbeiter. Was, wie Thomas immer drängender bemerkte, das Hauptproblem war.
    »Herr Alberts«, sagte er jetzt, lauter als zuvor. Für einen Augenblick merkte sein Vater auf, reagierte dann aber lediglich, indem er sich auf seinen lederbezogenen Chefsessel setzte und sagte: »Außerdem steht von Ihnen noch eine Strategie für die   ITC -Aktien aus, Bornemann.«
    »Es geht um Carolin. Du hast mit ihr geredet.« Es war Thomas ungemein peinlich, seine Privatangelegenheit in dieser Runde vorzubringen, doch er wusste, sein Vater betrachtete sie als seine natürlichste Umgebung. Es gab keine Möglichkeit, mit ihm unter vier Augen zu sprechen. Entweder wimmelte Frau Bartels, die Sekretärin, ihn bereits im Empfangsraum mit mitfühlenden und verständnisvollen Worten ab, oder sein Vater tat es, mit anderen Worten, am Telefon selbst. Thomas wohnte noch im Haus seines Vaters und seiner Mutter, doch man fand sich weder zum Frühstück noch zum Abendessen zu einer täglichen Bestandsaufnahme wichtiger Ereignisse zusammen. Sein Vater und seine Mutter ließen sich nur noch bei öffentlichen Anlässen zusammen sehen, ansonsten benutzten sie getrennte Schlafzimmer, getrennte Kühlschrankfächer und überhaupt getrennte Lebensräume. Thomas hatte sich an diese Gepflogenheiten über die Jahre gewöhnt. 
    »Wenn du also gleich eine Minute Zeit hättest –«
    »Sehe ich so aus, als hätte ich eine Minute Zeit, jetzt oder später? Unsere Termingeschäfte mit Harding werden heute den Bach runtergehen, ach ja, Frau Bartels, machen Sie für elf Uhr einen Telefonvermerk wegen Scheull.«
    »Wie verfahren wir mit Lensing?«, fragte Herr Feldberg.
    »Liquidieren. Ewald, Sie behalten den Ticker im Auge, ja?« In der Ecke war ein Fernsehschirm an der Wand angebracht, auf dem, in roten Laufbändern, aktuelle
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