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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar
Autoren: Sascha Reh
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Männer von der Finanzaufsicht, der Steuerfahndung und der Staatsanwaltschaft vor ihrer Tür standen und sie mit Fragen bombardierten, die sie nicht beantworten konnte. Im Gespräch nennt sie die Männer immer wieder »Aktionäre«, die ihre »Renditen« bei ihr eintreiben wollten. Bei diesen »Renditen« handelte es sich um stattliche 7 Millionen Euro, und dieser Betrag war keineswegs eingebildet, sondern höchst real: Milbrandt hatte das Konto seiner Tochter vorübergehend als Geldversteck missbraucht. Angesichts ihrer Panik und der Verzweiflung, so erzählt Brohm, bereue sie inzwischen, dass sie anstatt eines Farbbeutels nicht echtes Blut habe auftreiben können.
    Brohm wurde aber von Milbrandts Machenschaften noch in einer anderen, nicht minder existenziellen Hinsicht getroffen. Denn die überschuldete Frau hatte über die Helene-Alberts-Stiftung, die der Bank angeschlossen war, einen zinslosen Kredit zugesichert bekommen, mit der sie ihre Gläubiger auszahlen und endlich in ein normales Leben zurückkehren wollte. Nach dem Ende der Bank musste aber auch die Stiftung ihre Arbeit einstellen.
    Die Legende vom Einzeltäter
    Während Brohm auf ihren Schulden sitzenbleibt, kommen die wahren Schuldigen wieder einmal ungeschoren davon – wenn man davon absieht, dass der Gesellschafter Johann Alberts infolge des Skandals tragischerweise einen Schlaganfall erlitt und einige Tage später im Krankenhaus starb. Handelte Milbrandt als Einzeltäter? Seine Story klingt ähnlich wie jene, die in den vergangenen Jahren immer wieder durch die Zeitungen gingen, ob die Protagonisten nun Nick Leeson, Jérôme Kerviel oder Kweku Adoboli hießen. Immer soll es ein einzelner Angestellter gewesen sein, der die ausgeklügelten Sicherheitssysteme der Banken überlistete und Tausende von Sparern und Kreditnehmern um Millionen prellte, ohne dass irgendjemand davon etwas bemerkt haben wollte. Der Verdacht, dass in Milbrandts Fall wieder nur ein Bauernopfer für die Verfehlungen seiner Vorgesetzten den Kopf hinhalten soll, begleitete den Prozess von Beginn an.
    Und tatsächlich fielen während der Verhandlungen schnell Ungereimtheiten auf, als es darum ging, die Geschehnisse jener Tage im April 2010 zu beleuchten. Milbrandt hatte während der Griechenland-Krise Unmengen von griechischen Staatspapieren in der Erwartung gehandelt, dass der Kurs zusammenbrechen und ihm einen Millionengewinn einbringen würde. Weder stoppten ihn dabei die Kontrolleure im Backoffice, noch griffen seine unmittelbaren Vorgesetzten ein. Im Gegenteil: Bereits am 24. März 2010 hatte Johann Alberts in der Frankfurter Niederlassung angerufen und dessen Leiter Max Holt angewiesen, das Risikolimit des Händlers Bernhard Milbrandt pauschal aufzuheben. Auf Holts verwunderte Nachfrage war Alberts deutlicher geworden: Milbrandt habe unbeschränkte Kreditbefugnisse.
    Milbrandts Anwälte behaupteten, dass die Bank wegen akuter Misswirtschaft angeschlagen gewesen sei. Verantwortlich dafür war offiziell der verstorbene Gesellschafter, auch wenn das operative Geschäft seit Jahren von dem Generalbevollmächtigten Felix Feldberg geleitet wurde.
    Hätte Milbrandt mit seinen Leerverkäufen Erfolg gehabt, so hätte nicht nur er das Geschäft seines Lebens gemacht, sondern mit einer gewaltigen Rendite im Handstreich alle Probleme der Alberts-Bank gelöst.
    Das Gericht wertete dies als Motiv für Milbrandt, sich auf seine waghalsigen Spekulationen einzulassen. Auch Milbrandt selbst sagte wiederholt aus, er habe der Bank helfen wollen. Zwei psychologische Gutachter bescheinigten ihm ein Burn-out-Syndrom und erklärten damit seine panikartige Flucht.
    Obwohl also alle Indizien den klaren Vorsatz seiner Tat erkennen lassen, konnte sich die Anklage letztlich nicht durchsetzen: Nach 21 Prozesstagen ließ sie den Haftantrag gegen Milbrandt wegen verminderter Schuldfähigkeit fallen.
    Von keinem Feind zu erobern
    Somit verliert sich die Schuldfrage wieder einmal im seelenlosen Niemandsland zwischen Risikolimits und Haftungsgrenzen. Unbefriedigend bleibt das allemal. Milbrandt verlässt den Gerichtssaal als freier Mann, und der mutmaßliche Drahtzieher bei Alberts, der das Unternehmen in den letzten vier Jahren als Generalbevollmächtigter de facto führte und durch geplatzte Immobilienfinanzierungen maßgeblich für die wirtschaftliche Schieflage verantwortlich war, wurde im gesamten Prozess überhaupt nur ein einziges Mal als Zeuge befragt. Zum Dank darf Felix Feldberg bei der Bank
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