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Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Titel: Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
Autoren: Peter Asprion
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alte Wunde empfindlich treffen.
    Ich hoffe, dass er seine ‚Vorrangstellung‘ wahrnimmt!
    Die neue Ebene bringt Entspannung in unsere Gespräche.

    Verlauf der Begegnung
Wahrnehmungen
G.K. schreibt eigene Geschichten
Gegen Jahresende überrascht er mich mit der ersten Geschichte (in Handschrift!).
Für mich ist die Geschichte eine ergreifende Vision von Heilung.
    Er identifiziert sich mit dem kleinen Jungen.
Sie handelt von einem kleinen Jungen, der in einer heilen Familie lebt. An seinem Geburtstag fängt er einen aus dem Zirkus entlaufenen Tiger liebevoll ein und bringt ihn zum Zirkus zurück. Danach ist er ein Held.

    Beim nächsten Besuch sprechen wir darüber.
Seine ganze Sehnsucht nach heiler Familie mit Liebe und Zuwendung und nach Bewundertwerden ist in seinen Bildern enthalten.
    Der Umgang mit dem Tiger weist für mich unbewusst auf den Wunsch nach kontrollierter Sexualität hin. Diese Interpretation taucht in unserem Gespräch nicht auf. Wir bleiben nur auf der Bildebene.
Es folgen weitere Geschichten, viele Seiten lang, die immer Visionen von heiler Welt schildern. Liebevolle Eltern und Lehrer – glückliche und hilfsbereite Kinder – kranke Tiere, die gerettet werden.
Hier fantasiert er Kindheitsbilder, die er sich gewünscht hätte, die er nicht einmal ansatzweise selbst erlebt hat.
    Im Gespräch bleibt G. immer im Kopf, aber ich gehe davon aus, dass allein das ‚Erfinden‘ der Geschichten heilsam sein kann.
Dann schreibt er eine Erwachsenengeschichte:
    Ein junger Mann zieht hinaus in die Welt. Er kommt auf ein Spuk-Schloss, renoviert es, beerdigt alte Gerippe, pflegt den verwilderten Friedhof, erlöst so das Schloss vom Spuk, trifft eine junge Frau, die bereit ist mit ihm hier zu leben. Sie heiraten und haben Kinder und sind glücklich.
Er lässt sich ein, damit zu arbeiten.
    Er identifiziert sich mit dem jungen Mann, beerdigt seine Eltern, gönnt ihnen den Frieden, pflegt die Gräber seiner Verwandten – nennt sie alle namentlich! Das Gefühl für seine Eltern beschreibt er als altes morsches Holz, das zerfällt und zu Dünger = Erde wird.
    Er schafft Ordnung wie bei einer ‚Familienaufstellung‘.
    Vor- und zurückschauend ist das für mich eine einmalige Sternstunde.

    Verlauf der Begegnung
Wahrnehmungen
Das vierte Jahr (2001)
Eigene Geschichten gibt es kaum noch; G. beginnt,,Grimms Märchen‘ abzuschreiben.
Ich bin sehr froh, dass er sich den Märchen zuwendet. Allein die ständige schriftliche Beschäftigung damit kann gut tun.
Außerdem verfasst er überwiegend Anträge und Schreiben, die zum bevorstehenden Ende seiner ursprünglichen Haftzeit (Dezember 2001) wichtig werden.
    Alle schriftlichen und mündlichen Kontakte mit Beamten und Gutachtern schildert er selbstbewusst fordernd. Er ist in Kampfstimmung. Alle Einwände, Verzögerungen, Ablehnungen sind für ihn – wie schon früher – nur juristische Machtdemonstrationen:,Die machen mit uns doch was sie wollen!‘
Die Tätigkeit des Abschreibens hat für ihn ohnehin eine beruhigende Wirkung.

    G. stellt sich nach wie vor nicht in Frage.
    Er kann nichts dafür – so seine Meinung –, dass die Justiz ihn und sein Leben zugrunde gerichtet hat.
    Darüber gibt es für mich keine Gesprächsmöglichkeit mehr mit ihm.
    Ich sehe zu, wie er in seinem eigenen Gefängnis im Kreis läuft.

    Verlauf der Begegnung
Wahrnehmungen
Ablösung – Distanz
Mitte des Jahres teilt G. mir mit, dass er nicht mehr regelmäßig besucht werden möchte. Die Kontrollen vor den Besuchen seien strenger und lästiger und ich müsse jedes Mal extra nach Freiburg kommen.
    Er wünsche sich Briefkontakt, und wenn etwas Besonderes sei, könne er mich bitten zu kommen.
Ich glaube, die Zeit unserer Beziehung, in der Bewegung für ihn möglich war, ist erschöpft.
    Die ‚freundliche Verschleierung‘ seiner Gründe nehme ich als rücksichtsvolle Geste wahr. Er will mich nicht kränken. Die Kontaktaufnahme mit seiner Vergangenheit hatte vielleicht heilende Aspekte, aber die Wucht der Angst, des Schmerzes und der Wut scheint übermächtig. Seine ‚Abwehrbastion‘ wirkt uneinnehmbar.
Seit gut einem Jahr halten wir wöchentlichen Briefwechsel. Seine Schreiben sind freundlich, kurz und trocken – wie sie immer waren. Ich antworte, indem ich spiegele, was bei mir ankommt, frage nach, teile meine Meinung mit.

    Einige Male fragte er an um einen Besuch.
    Es gibt kaum noch Gesprächsthemen.
Wir sind ein Stück seines Weges miteinander gegangen. Seine Sehnsucht und seine vielen
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