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Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Titel: Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
Autoren: Peter Asprion
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über die Begrenzungslinien hinausmalte. Dann musste der Radiergummi ran oder ein Instrument, das sich sinnigerweise „Tintenkiller“ nannte. Manchmal so heftig, dass das Blatt im Heft „durchradiert“ wurde und ein Loch bekam. Das folgenschwere Ergebnis war, dass die Basis für das schöne Bild zerstört war.
    Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Dezember 2009 ist die Sicherungsverwahrung in der öffentlichen Debatte zum kriminalpolitischen Thema Nummer eins geworden. Wegen Verstößen gegen die Menschenrechtskonvention mussten für gefährlich gehaltene Straftäter aus der Verwahrung entlassen werden. In einem grundlegenden Urteil im Mai 2011 hat das Bundesverfassungsgericht die bisherige Praxis der Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt. Vielleicht verhindert dieses Urteil, dass die grundrechtliche Basis für unser freiheitliches Zusammenleben von nicht menschenrechtskonformen Gesetzen durchlöchert wird, wie das Bild meiner Tochter vom „Tintenkiller“.
    Um was und wen geht es bei der Debatte um die Sicherungsverwahrung? Leben unter uns Monster und Bestien, die verwahrt werden müssen? Oder sind das verletzte und benachteiligte Menschen, die ungerechtfertigt verwahrt werden? Mein Anliegen ist, diesen Menschen auf die Spur zu kommen. Ich gehe der Frage nach, ob wir Angst haben müssen, weil Freiheit für diese Menschen – oder für uns – gefährlich sein kann.
    Ich habe mich entschieden, die Seite der Täter zu beschreiben, wobei ich mir bewusst bin, dass meine ausschließliche Perspektive auf die Täter für Opfer einer Straftat schwer erträglich sein kann. Und ich bedauere dies. Opfer von Straftaten brauchen Unterstützung, Hilfe und Trost. Dass dies manchmal nicht ausreichend geleistet wird, ist traurig und ein Versäumnis unserer Gesellschaft und der Politik. Das wird sich aber nicht dadurch ändern, dass keine Arbeit mit Tätern geleistet wird.
    „Alles fließt“, und so wird auch diese Debatte sich fortsetzen. Ich habe die Entwicklung und meine Erfahrungen bis Ende Oktober 2011 hier aufgenommen. Bis Sie diese gelesen haben, wird wieder einige Zeit vergangen und mögliche neue Aspekte diskutiert worden sein.
    Wie Sie als Leserin und Leser für sich die Frage „Gefährliche Freiheit?“ beantworten, bleibt letztlich Ihnen überlassen. Einerseits mag manchem die Freiheit für die entlassenen Verwahrten nach wie vor als zu gefährlich vorkommen, andererseits wird es aber keine Freiheit ohne Risiko geben können. Auf jeden Fall muss unser staatliches Handeln den Normen der Menschenrechtskonvention entsprechen.

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern
    Ziemlich sicher hat mein Großvater weder Franz-Joseph Degenhardt noch dessen Lied von den Schmuddelkindern gekannt. Gesagt hat er zu mir trotzdem: „Zu denen gehst du nicht hin!“
    Aufgewachsen in einem kleinen Dorf und von dort in ein streng katholisches Internat zum Schulbesuch geschickt, hatte mein Großvater Sorge um mich, als sich im Dorf eine kleine Initiative ansiedelte, die sich um drogenabhängige junge Menschen kümmerte. Es war die Zeit der späten Achtundsechziger, und ich selbst war damals zumindest äußerlich infiziert, mit langen Haaren und der Musik der jungen Generation in den Ohren: nach bürgerlichen Maßstäben ein „Gammler“. Mein dörflich geprägter Großvater, und nicht nur er, hatte Sorge, dass der Kontakt mit den suspekten neuen Dorfbewohnern sich schädlich auf mich auswirken würde. Also wurde mir der Umgang mit den neuen Dorfbewohnern verboten.
    Selbstverständlich habe ich mich nicht an das Verbot gehalten und so einige Menschen in meinem Heimatdorf kennengelernt, die, wie ich, zwischen 16 und 20 Jahre alt waren, sich in ihrer Biografie und vor allem in ihrer sozialen Auffälligkeit von mir unterschieden, was ich einerseits aufregend und abenteuerlich, andererseits aber auch beängstigend empfand. Sie hatten harte Drogen konsumiert, waren von Krankheiten wie Hepatitis beeinträchtigt, manche hatten schwere Straftaten wie Raub, Diebstahl oder Körperverletzungen begangen. Neben ihnen kam ich mir vor wie ein „kleiner Fisch“. Ich hatte zwar im jugendtypischen Umfang zusammen mit Internatsfreunden kleinere Diebstähle begangen und war dabei erwischt und polizeilich behandelt worden. Eine jugendrichterliche Ermahnunghatte mich aber beeindruckt und von Schlimmerem abgehalten.
    Neben meiner Faszination für die meist jugendlichen, drogenabhängigen Straftäter spürte ich
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