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Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Titel: Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
Autoren: Peter Asprion
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bereit, die Begleitung anzunehmen.

    Verlauf der Begegnung
Wahrnehmungen
Die Familie lebt arm; die Eltern trinken beide – die Kinder (es folgen drei Geschwister) werden früh an Alkohol gewöhnt; G.K. trinkt und raucht seit dem 5. Lebensjahr; Stehlen gehört zum Überleben.
Mit 8 Jahren wird er vom Jugendamt aus der Familie in ein Heim gebracht, er gilt als schwer erziehbar.
    Es folgt eine ‚Heimkarriere‘ (die Einrichtungen „eine schlimmer als die andere“), bis er mit 16 Jahren in Jugendhaft landet. Ab dann beginnt die ‚Knastkarriere‘.
    Er hat keine Kontakte mehr nach draußen; seine Mutter erklärt ihn für tot, als er vor 24 Jahren in Haft kommt: Er sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ein Mithäftling erfährt dies auf Umwegen. Seitdem will er keinem Angehörigen mehr begegnen.
Die Eltern sind inzwischen verstorben.
    Das Gefängnisleben schildert er als ununterbrochene Erfahrung von Verachtung und Demütigung. „Die meisten vom Personal genießen es, ihren eigenen Frust an uns auszulassen! Wir sind der Abschaum der Gesellschaft und haben kein Anrecht, wie Menschen behandelt zu werden.“
Meine und seine Entscheidung für den
Versuch eines „gemeinsamen Weges“ in
der Begleitsituation stehen hiermit fest.

    In Gesprächen mit erfahrenen BetreuerInnen kläre ich meine Haltung: Ich
möchte diesem Menschen durch meine
Besuche seine Menschenwürde erfahrbar machen, ganz gleich, was er getan
hat, Das heißt, dass ich ihn ernst nehme.
Auf meine Frage, was er von mir erwartet, antwortet er fast bescheiden, er wünsche sich einfach einen Kontakt nach draußen und mit jemandem reden zu können, der nichts mit ‚diesem Laden‘ zu tun habe!
    Am Ende dieses Besuches entscheiden wir beide, dass wir es miteinander versuchen wollen.
Was er mir berichtet, will ich anhören.
Was ich nicht begreifen oder glauben
kann, werde ich nachfragen.

    Verlauf der Begegnung
Wahrnehmungen
Annäherung – die ersten Wochen
Bei den folgenden Besuchen – wöchentlich 90 Minuten – wirkt er gemäßigter. Vor allem hat er nicht getrunken. Aber er ist der Meinung, er sei mit Alkohol genauso klar wie ohne. Da erzähle ich ihm, wie ich ihn beim ersten Treffen erlebt habe und dass der Gestank für mich ziemlich widerlich war.
Meine Rückmeldung beeindruckt ihn.
    Es ist ihm fast peinlich, dass er mir die
Fahne zugemutet hat.
Allmählich erfahre ich weitere Einzelheiten aus seinem Leben.
    Seine wilde Kindheit: Überall, wo man ihn einsperrt, bricht er aus (zu Hause und später in den Heimen), streunt durch Wald und Feld, haust in Höhlen, hortet gestohlene Schätze (Süßigkeiten, Zigaretten, Schnaps). Und er traut niemandem, weiht keinen in seine Geheimnisse ein.
    Natürlich packt man ihn immer wieder; und jedes Mal werden die Strafen härter.
    Dabei fällt mir auf, dass er auch die schmerzlichen Ereignisse vollkommen emotionslos erzählt. Als ich mich wundere, antwortet er nur: „Gefühle habe ich keine mehr, die habe ich mir schon ganz früh abgewöhnt, sonst hätte ich es nicht ausgehalten!“
    Manchmal bitte ich, etwas zu wiederholen, wenn ich den Zusammenhang verliere.
Vor mir entsteht das Bild eines kleinen
gehetzten, aber unendlich zähen Tieres,
das – ständig auf der Lauer – von einem
Schlupfloch ins nächste flieht.

    Mein interessiertes Nachfragen wehrt er
nie ab. Er habe nichts zu verbergen. Ich
spüre, dass es ihn aufwertet. Jemand findet es wert, seine unerfreuliche Lebensgeschichte zu hören.
    Seine Erzählweise ist zwar schlicht, aber
anschaulich. Was er überstanden und
erlebt hat, soll mich beeindrucken.
Er bemüht sich um gepflegte Sprache,
vermeidet Gossen-Jargon. Ich nehme die
Achtung wahr, die er mir damit entgegenbringt.
    Es ist für mich überraschend, wie klar er seine Entwicklung einschätzt.

    Wenn er von seiner begrenzten und mit
Tricks erkämpften Freiheit von Tagen
oder Stunden erzählt, leuchten seine Augen. Bis heute war sie für ihn das einzige
Glück, das er kennenlernte.
Zunehmend wird deutlich, dass seine
Berichte sich auch beim wiederholten
Mal nicht verändern. Allmählich kann
ich glauben, dass er mir nicht wissentlich
oder vorsätzlich etwas Falsches erzählt.

    Je mehr er mir von sich erzählt – und ich
ohne zu bewerten zuhöre, wächst sein
Vertrauen zu mir.

    Verlauf der Begegnung
Wahrnehmungen
Ich habe ihm zugesagt, dass ich der
Schweigepflicht unterstehe, es sei denn,
er plane z. B. einen Anschlag.
Parallel zu seinen Lebensberichten erfahre ich von seinem Leben im
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