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Smart Magic

Smart Magic

Titel: Smart Magic
Autoren: Christoph Hardebusch
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Abhängen
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    Tom zog sich in den Schatten des Türeingangs zurück und schob die Hände in die Jackentaschen. Ein leichter Nieselregen fiel vor ihm auf den Asphalt, und er freute sich darüber, denn so würde es aussehen, als hätte er sich hier nur untergestellt. Durch die gesprungene Glasscheibe konnte er ein paar ramponierte Briefkästen und einen Kinderwagen sehen. In dem Mietshaus wohnten bestimmt nicht die aufmerksamsten Leute.
    Aus den Stöpseln in seinen Ohren drang leise Musik, schnelle Gitarrenriffs und eine melodische Stimme. Er liebte die Band und konnte jedes Stück ihres neuesten Albums mitsingen, aber jetzt gerade hatte er keine Zeit, und er nahm die Musik kaum wahr.
    Obwohl es für März nicht sonderlich kalt war, hatte er die Kapuze seines Sweatshirts tief ins Gesicht gezogen, und er linste angestrengt unter dem grauen, ausgefransten Saum hervor, der ihm beinahe in die Augen fiel. Mit der Linken fuhr er über das Rad des Players und drehte so die Musik noch leiser.
    Toms gesamte Aufmerksamkeit war auf den Geldautomaten auf der anderen Straßenseite gerichtet, der sich in einer Nische zwischen einem Schuhgeschäft und einer kleinen Bankfiliale befand. Eine mollige Frau in einem durchsichtigen Regenmantel stand davor. Sie versuchte, eine henkellose Papiereinkaufstüte, aus der Zucchini und Salat herausragten, mit nur einem Arm zu halten, während sie mit der anderen Hand ihre Geheimzahl eingab. Menschen mit Einkaufstüten waren normalerweise ideal, aber Tom schüttelte dennoch beinahe unmerklich den Kopf. Für einen zufälligen Beobachter hätte die Bewegung wie eine Reaktion auf die Musik aussehen können. Tatsächlich war es aber ein Zeichen. Die Frau hatte ihr Gemüse bestimmt beim Türken um die Ecke gekauft, sie trug ausgetretene Schuhe, und die Klamotten unter dem durchsichtigen Mantel waren abgetragen. – Keine gute Wahl. Endlich hatte sie es geschafft, ihre Geldbörse wieder zu verstauen, und sie verschwand, die Zucchinitüte nun fest im Griff.
    Tom würdigte sie keines weiteren Blickes. Der Regen wurde stärker. Perfekt; das bot ihm die Möglichkeit, einfach hier stehen zu bleiben und darauf zu warten, dass jemand vorbeikam, der besser geeignet war. Die meisten Passanten beeilten sich jetzt, schnell von der Straße zu kommen, hielten Zeitungen oder zogen Mantelkrägen über ihre Köpfe und flüchteten hastig zu H&M oder Starbucks.
    Kaum zwei Haltestellen von hier entfernt saßen die Schüler seines Kurses wohl noch in Mathe und lauschten den gähnend langweiligen Erklärungen von Doc Salzbacher, während sie das Pausenklingeln herbeisehnten. Obwohl Tom in Mathe besser als in so manch anderem Fach war, konnte Salzi auch ihn innerhalb von wenigen Minuten an den Rand des Schlafs reden. Besser als’n Joint, hieß es im Kurs über den Mathe-Doc an der Pensionierungsgrenze. Trotzdem wäre Tom im Augenblick weitaus lieber in dem immer leicht nach schwitzenden Schülern und Automatenkaffee müffelnden Kursraum gewesen als dort, wo er sich gerade befand. Stattdessen spürte er die harte Wand in seinem Rücken und tat unbeteiligt, während er die vorbeihastenden Menschen beobachtete. Bargeld würde der eine oder andere trotz des ätzenden Wetters sicher bald mal brauchen. Und jemand, der es wegen des Regens eilig hatte, war noch besser als eine Tussi mit Einkäufen.
    Mit der Zeit bekam man ein Gespür für die Leute. Die Menge auf den Einkaufsstraßen der Großstadt war immer bunt gemischt, Anzugträger liefen neben Hausfrauen, Schulkinder neben Großmüttern, helle Haut neben dunkler, teure Kleidung neben verschlissener. Sie sammelten sich in kleinen Pulks an den Fußgängerampeln, zufällige Gemeinschaften, die sich ebenso schnell wieder auflösten, wie sie zusammenfanden. Aber dafür interessierte sich Tom nicht. Er achtete auf Kleinigkeiten, versuchte, den Preis der Kleidung abzuschätzen, den Gang einzustufen. Wer war Opfer, wer war gefährlich?
    Irgendwo in der Nähe ging eine Sirene los. Obwohl Tom ruhig dastand, hämmerte ihm das Herz in der Brust, wie immer, kurz bevor es losging. Der Laut schwoll an, brach dann aber abrupt ab. Gut. Nur ein Autoalarm, den irgendein Idiot ausgelöst hatte.
    In seinen Händen spürte Tom das wohlvertraute Kribbeln. Bei dem einen oder anderen Passanten hätte er fast genickt, aber jedes Mal ließ ihn sein Instinkt doch abwarten. Vielleicht war es auch Angst, so genau konnte er das nicht sagen. Aber die Angst, mit leeren Händen nach Hause
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