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Galgeninsel

Galgeninsel

Titel: Galgeninsel
Autoren: Jakob Maria Soedher
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draußen schlafen, am Feuer. Ein Hund. Ein Hund musste dabei sein. Einer von den großen Hütehunden, die konnten lange Strecken laufen, ohne dass die Pfoten wund wurden.
    Und außerdem. Es war sowieso Zeit hier zu verschwinden. Irgendwie hatte er in letzter Zeit das Gefühl, die Schweiz würde ungastlicher werden. Er vertraute dem Telefon nicht mehr, auch wenn es niemanden gab, mit dem er hätte telefonieren sollen. Und er fühlte sich beobachtet. Das war neu. Einmal hatte er gedacht, das Gesicht eines Mannes, der ihm entgegenkam, zu kennen. Das Gesicht eines ihm fremden Mannes! Also musste es ihm schon mal begegnet sein. Und das hier in der Stadt. Eine Observation? Das konnte eigentlich nicht sein, denn er war sehr vorsichtig und seine Auftraggeber ebenfalls. Noch nie gab es einen direkten Kontakt, noch nie ein Telefonat.
    Er legte an Geschwindigkeit zu und drehte sich um. Vor einem Schaufenster blieb er abrupt stehen, betrachtete scheinbar die Uhren in der Auslage, nutze die Scheibe aber wie einen Spiegel und verfolgte genau, wer in seinem Rücken vorbeilief und ihm Aufmerksamkeit schenkte. Keine Auffälligkeit. Also weiter. Er lief erst in die Richtung, aus der er gekommen war, blieb stehen, fasste sich an den Kopf, ganz so als wäre ihm etwas eingefallen, was er vergessen hätte. Dann drehte er um und ging wieder in Richtung Schaufenster. Sauber. Ich bin sauber, dachte er und atmete erleichtert weiter.
    Das Ehepaar, das vorbeigelaufen war, als er in den Spiegel gesehen hatte, war ihm nicht aufgefallen. Sie waren vorüber gegangen wie Ehepaare eben gingen. In dieser unaufgeregten, distanzierten Vertrautheit. Dies war aber auch anderen Paaren eigen. Mariam Schryter und Beat Höfer arbeiteten seit fast zehn Jahren zusammen und waren als Team unschlagbar. Kurz nachdem sie Kafelnikov passiert hatten, flüsterte sie ihrem Kollegen ins Ohr. »Er schüttelt wieder. Er schüttelt wieder. Am Schaufenster. Die anderen müssen übernehmen.«
    Die anderen hörten mit und übernahmen. Mariam Schryter fragte ihren Kollegen: »Glaubst er weiß schon, dass wir den toten Briefkasten kennen und dass er aufgeflogen ist?«
    Beat Höfer zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Aber er ahnt wohl etwas, so wie er auf einmal anfängt zu schütteln.«
    »Weswegen war er noch mal in Deutschland?«
    »Irgendein Russe, der auf eigene Rechnung Geschäfte mit Fleisch gemacht hat. Das tut man einfach nicht innerhalb einer Organisation. Bei uns kann ja auch nicht jeder machen was er will, oder?«
    Der Volvo war inzwischen zum Treffpunkt gefahren und nahm die beiden auf. Mariam Schryter meinte: »Du wirst uns doch wohl nicht mit der russischen Mafia vergleichen wollen?«
    Sie fuhren los. Das zweite Team hatte sich an Kafelnikov gehängt. Und der war reif. Er ahnte es aus irgendeinem Grund und war darum in letzter Zeit sehr vorsichtig, änderte die Richtungen, wenn er durch die Stadt hetzte. Auch das war neu – er hetzte, hatte die Ruhe verloren. Er wechselte Taxis, fuhr mit der Straßenbahn zwei Stationen retour, um abermals die Richtung zu drehen, bestellte telefonisch einen Platz im Restaurant und ging dann ganz woanders hin. Er war jetzt reif, denn in Paris hatte er einen Fehler gemacht.
    Er ahnte es. Sie wussten es. Der Junge wenigstens lebte noch und er konnte reden.
     
    Der Zug fuhr zwar erst kurz vor Mitternacht, aber er hatte noch einiges zu erledigen. Trotz aller Vorsicht, die er sich auferlegte, mussten noch wichtige Dinge geregelt werden. Er schüttelte sich kurz und wurde das Gefühl nicht mehr los – die Schweiz wurde ungastlich. Das Pferd sah er vor sich, den Hund und ein Lagerfeuer am Ufer eines Sees – gerade dann, als er sich umdrehte und die Straße überquerte.
    Es muss der Hut gewesen sein und der aufgeschlagene Mantelkragen, die verhindert hatten, das zweite Auto zu erkennen. Es fuhr im Schatten des großen Volvo Geländewagens und das rechte Vorderlicht war ausgefallen. Im Fond des Volvo, hinter getönten Scheiben, schrie Mariam Schryter hell auf, als sie beim Blick nach hinten sah, wie Kafelnikov erfasst und durch die Luft gewirbelt wurde. Es war schwierig, eine Entscheidung zu treffen. Sollten sie anhalten und ihm helfen?
    Später im Büro konnte sie ihr Gewissen beruhigen, als sie erfuhr, dass ihm nicht mehr zu helfen gewesen war. Der Aufprall selbst war nicht so heftig gewesen, aber das Genick hatte dem seitlichen Druck der A-Säule nicht standgehalten. Die Akte konnte geschlossen werden.
     
    In Wasserburg, in
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