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Hyänen

Hyänen

Titel: Hyänen
Autoren: Tom Epperson
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    Die erste Woche
    Dienstag
    E ines Tages werden Sie sehr reich sein», sagte die Frau.
    «Sehen Sie das in den Karten?»
    «Ja. Einen funkelnden Schatz.»
    «Was sehen Sie noch?», fragte der Seemann.
    Sie starrte auf die Karten und schwieg.
    «Bitte. Was noch?»
    Sie war jung. Vielleicht fünfundzwanzig. Eine große Nase, sonst hübsch. Dann schien sie sich in eine alte Hexe zu verwandeln. Sie zerfiel zu Staub und wehte davon.
    Er spürte, dass er nicht mehr im Zelt war, sondern irgendwo draußen, im Dunkeln. Ein Sturm zog auf, Blitze zuckten, Donner grollte. Er war einsam und verängstigt wie ein kleines Kind. Er merkte, dass er gleich weinen würde, dann weinte er wirklich. Und wie er weinte.
    Dann wachte er auf. Trotz des Traums hatte er trockene Augen. Die Brandung ging wie der unermessliche Atem der traumlosen See. Er setzte sich auf. Genoss die Aussicht von Kap Mugu. Nebel lag über dem Ozean, schien sich mit dem grauen Wasser zu vermischen. Der Morgen dämmerte. Es war kühl. Im Rhythmus der Wellen atmete er langsam und bewusst durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus. Sein Atem kondensierte, wurde Teil des allgemeinen Graus.
    Er kroch aus seinem Ultralite-Schlafsack, ging ein Stück und pinkelte. Der Urin dampfte. Gegenüber ragte die kahle Wand des Mugu Rock empor. Hinter ihm verlief der Pacific Coast Highway, und hinter dem Highway erhob sich eine weitere Felswand, so hoch, dass der Mugu Rock dagegen winzig wirkte. Vor vielen Jahren war er schon einmal hier gewesen; die erhabene Schönheit aus grauer Vorzeit hatte ihn erschüttert, und er hatte sich geschworen, eines Tages wiederzukommen und zwischen den Felsen von Kap Mugu zu schlafen. Herauszufinden, welche Träume sie ihm bescheren würden.
    Er nahm die Wasserflasche aus dem Rucksack, trank und griff dann nach den Rosinen. Auf der Schachtel war das Bild eines italienischen Mädchens mit einer Haube auf dem Kopf. Er kannte sie aus seiner Kindheit. Jetzt war er erwachsen, aber sie war noch immer die Gleiche. Eine heidnische Rosinengöttin, alterslos. Er ging zur Kante des Kliffs und setzte sich hin. Zu seinen Füßen, knapp hundert Meter weiter unten, lag der Strand. Felsen ragten fast bis zu ihm empor. An einer Stelle bildeten sie so etwas wie eine Brücke. Es würde Spaß machen, darüberzugehen.
    Er öffnete die Rosinenschachtel. Ein Seevogel schoss kreischend an ihm vorbei.
    Kauend saß Gray auf dem Felsen und schaute über das Wasser.
     
    ‹Carter ist smarter› sah hinüber zur anderen Straßenseite, um ihn herum flatterten Wimpel und blitzten Autoscheiben. Das Buster’s war ein gelber Klinkerbau, in den Fenstern Neonwerbung für Bier. Er sah sie drinnen bei der Arbeit hin und her laufen.
    «Na, hast du Druck?»
    Wesley Beason schob seinen massigen Leib auf ihn zu.
    «Wie kommst’n darauf?»
    «Na ja, dein Gesichtsausdruck sagt mal wieder alles.»
    «Ich geh was essen. Willst du auch was?»
    «Kuchen.»
    «Einen ganzen, oder reicht ein Stück?»
    «Seh ich aus, als ob ich einen ganzen Kuchen essen würde? Okay, sag nichts. Bring mir ein Stück.»
    «Und was für einen?»
    «Egal. Hauptsache, mit Bananencreme.»
    Durch den dichten Verkehr hindurch überquerte Carter in seinem gestreiften Zegna-Anzug den Highway. Hohe Wangenknochen und dunkle Augen verrieten seine indianische Herkunft.
    Er setzte sich auf seinen Stammplatz am Fenster. Sie brachte einen Eistee und die Karte.
    «Irgendwas zu empfehlen?»
    «Die Truthahnpastete kommt gut an.»
    «Dann nehm ich die.»
    «Wär schön, wenn alle Gäste so wären.»
    «Na, Hauptsache, ich bin so, oder?»
    Er trank den Eistee und sah durchs Fenster hinüber zu seinem Firmenschild: CARTER IST SMARTER  – GEBRAUCHTWAGEN FÜR WENIG GELD . Große Trucks donnerten vorbei. In vier Wochen wurde er vierzig – er seufzte und dachte über sein Leben nach. Als sie die Pastete brachte, verscheuchte er diese Gedanken.
    «Ich sitze hier und komm einfach nicht drauf.»
    «Wo wollen Sie denn draufkommen?»
    «Auf Ihr Geheimnis.»
    Sie lachte unsicher. «Was denn für ein Geheimnis?»
    «Ach, kommen Sie, natürlich haben Sie ein Geheimnis. Hier so einfach aus dem Nichts aufzutauchen.»
    «Ich hab’s Ihnen doch schon erzählt. Ich wollte woanders noch mal von vorn anfangen. Was ist daran schon geheimnisvoll?»
    «Dass Sie ausgerechnet hier gelandet sind.»
    «Ist doch egal, wo man landet.»
    «Wie sind Sie darauf gekommen? Haben Sie einen Pfeil auf die Landkarte geworfen und zufällig
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