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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt
Autoren: Bernwald Schneider
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    Kaum hatte ich die Brücke über den Landwehrkanal betreten, da merkte ich, dass ich verfolgt wurde. Sofort war mir klar, dass ich keine Möglichkeit mehr zum Ausweichen besaß. Die Dämmerung war vorangeschritten, die Lichter der Stadt griffen gierig nach dem Himmel. Nicht weit entfernt toste der abendliche Verkehr, Busse, Straßenbahnen, vereinzelt waren noch Passanten auszumachen. Allerdings sollte mir das nichts nützen. Zur falschen Zeit am falschen Ort war ich meinen Verfolgern ausgeliefert und auf mich selbst gestellt.
    »So spät dran heute Abend, Herr Rechtsanwalt?«, hörte ich eine säuselnde Stimme. Sowie ich zur Seite blickte, sah ich das höhnische Grinsen eines Mannes, der nun zu meiner Linken aufgeschlossen hatte und auf dessen hageres Rattengesicht der Halbschatten einer Schirmmütze fiel. Der Mann war einen halben Kopf kleiner als ich, besaß aber eine erkennbar kräftige und drahtige Gestalt. Er war mir völlig unbekannt.
    »Die Leute haben Probleme und ich selbst viel zu tun«, sagte ich im Bemühen, unverbindlich zu bleiben, während wir nebeneinander her auf das andere Ende der Brücke zuschritten. »Leider kann ich mich nicht an Ihren Namen erinnern.«
    »Das musst du auch nicht«, antwortete der drahtige Mann mit dem Rattengesicht, »es reicht doch, dass ich dich kenne.«
    Wahrscheinlich wäre es sogar besser gewesen, ich wäre auf der Brücke stehen geblieben, denn nachdem wir das andere Ufer erreicht hatten, tauchte zu meiner rechten Seite der andere Typ auf, den ich unterbewusst irgendwie schon gewittert hatte, ein echter Brecher, größer und breiter als sein Kumpan, ein Strolch mit Bürstenhaarschnitt und einem grobflächigen Gesicht.
    Im nächsten Moment wurde mein rechter Arm mit brachialer Gewalt gepackt und herumgerissen, und ehe ich mich versah, hatten mich die beiden Typen die Böschung hinter der Brücke hinuntergezerrt. Ich kam ins Rutschen und stolperte nach vorn, doch meine Begleiter hielten mich fest. Sobald sie mich wieder zu voller Größe aufgerichtet hatten, standen wir zu dritt im Dunkel unter der Brücke. Dabei presste der Große mithilfe seines dicken Arms meinen Hals und meinen Kopf so fest gegen die Mauer, dass mir die Luft zum Atmen wegblieb.
    Der Drahtige hatte mit einem Mal ein Messer in der Hand, dessen Klinge in dem sich im Kanalwasser spiegelnden Licht so tückisch glitzerte wie das schwarze Nass in seinem Hintergrund.
    »He«, protestierte ich, als der Druck des Armes auf meinen Hals etwas nachließ, »nicht so stürmisch. Man kann über alles reden.«
    »Kann man, muss man aber nicht!«, lächelte das Rattengesicht unangenehm.
    Der Schein der Laternen am gegenüberliegenden Ufer reichte nicht so weit, dass es die gespenstische Szene hätte erhellen können, in der ich so plötzlich der Mittelpunkt war, und mich beschlich der Gedanke, dass meine Leiche wahrscheinlich nicht die einzige wäre, die man am nächsten Morgen aus dem Kanal fischen würde, falls die Sache hier nicht noch eine gute Wendung für mich nahm.
    »Ich weiß, dass wir in miesen Zeiten leben, versuchte ich mich zu retten. »Und Sie mögen es glauben oder nicht – auch den Anwälten geht es hierzulande gerade ziemlich schlecht. Trotzdem spende ich gern, was ich bei mir habe. Die Börse befindet sich in der Gesäßtasche. Wenn Sie einverstanden sind, hole ich sie …«
    Das Messer des Drahtigen bewegte sich weiter in Richtung meines Halses, und dann ließ der Typ mich den kalten Stahl der Klinge an meiner Kehle spüren. »Wer sagt denn, dass wir dein Geld wollen, Herr Rechtsanwalt?«, grinste er. »Vielleicht pfeifen wir ja auf dein bisschen Knete und nehmen uns lieber dein bisschen Leben.«
    »Von meinem bisschen Leben haben Sie doch nichts«, versuchte ich zurückzugeben –, mit einer Stimme, die nur mehr ein Krächzen war. »Es ist besser, wir finden eine Lösung, die beiden Seiten dienlich ist.«
    »So dämlich kann nur ein Anwalt quatschen«, spottete der Drahtige und drückte die Messerspitze einen Millimeter tiefer in meine Haut. »An was für eine Lösung hast du gedacht?«
    »Ich könnte mehr Geld beschaffen«, sagte ich aufs Geratewohl, aber ehe ich dazu kam, meinen Plan weiter zu entwickeln, spürte ich schon den scharfen Schmerz eines Schnitts, und als das Rattengesicht das Messer unmittelbar vor meine Augen führte, sah ich trotz der Dunkelheit, dass Blut von der Spitze tropfte.
    »Judenblut?«, wollte er ebenso leise wie bedrohlich wissen.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Glück
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