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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer
Autoren: Joerg Liemann
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Antwort wartete.
    » Was ist das da?«, fragte er schließlich und bewegte nur die Augen nach links.
    Ohne hinzuschauen, sagte van Tannen: » Ein Circumferentor.«
    Sternenberg formte einen fragenden Blick.
    » Damit bemisst man Horizontalwinkel und kann sie am magnetischen Meridian ausrichten.«
    » Aha. Sieht gepflegt aus. War bestimmt nicht leicht zu bekommen, oder? Ich meine, er ist doch ziemlich alt?«
    » Erstes Drittel 17. Jahrhundert«, sagte van Tannen. » Funktioniert präziser als moderne Geräte.«
    » Kann ich mir vorstellen.« Im Hintergrund hing eine Wandkarte, die eine Stadt mit Festungsanlagen darstellte. Die Befestigungen erinnerten ihn an den Stern. » Sie sammeln nicht nur Waffen, sondern auch Stiche von alten Städten? Ich weiß, ich bin nicht in der Situation, Sie um etwas zu bitten. Aber dürfte ich mir diese Karten ansehen? Ihre Erzählung von den italienischen Idealstädten und Dürers Plänen war faszinierend.« Er schaute in dunkle, nichtssagende Augen. » Sie können die Zimmertür schließen und mich im Visier behalten.«
    Van Tannen gab ihm einen Wink, zu den Karten zu gehen. Es wäre Sternenberg wohler gewesen, wenn er einen Plan gehabt hätte, wie er aus dieser Lage hinauskäme. So was hat man im wirklichen Leben nicht, dachte er. Er stellte sich vor den Stich der Stadt und sagte überrascht: » Das ist Berlin! Die Doppelstadt Cölln und Berlin! Das hätte ich nicht gedacht! Diese Zackenform hier außen, das erinnert mich an die runde italienische Stadt. Wie hieß die? Palmadino …«
    » Palmanova.«
    » Genau.«
    Van Tannen sprach mechanisch. » Berlin ist erst nach dem Dreißigjährigen Krieg fortifiziert worden. Es ist ein Ring aus 13 Bastionen. Später wurden noch diese sechs Ravelins hinzugeführt, das sind vorgelagerte, dreieckige Bastionen. Der Wallgürtel um die Stadt war 85 Meter breit. Alles nachträglich hinzugefügt. Die Stadt selbst blieb so ungeordnet und schlecht organisiert wie zuvor. Man hätte sie wie Palmanova von Grund auf strukturieren müssen. Berlin sollte durch diese Maßnahme vollwertige Garnisonsstadt werden, konnte aber nur 2000 Soldaten mit 600 Angehörigen zusätzlich aufnehmen. Jede Bürgerfamilie musste deshalb ihr Haus für drei Soldaten öffnen und sie versorgen. Das nenne ich Stümperei. Palmanova wurde vor 450 Jahren für 20 000 Soldaten ausgelegt – so, wie es heute dasteht. Aufgrund einer durchdachteren Struktur.«
    Sternenberg fühlte sich durch den Monolog des Architekten entlastet, wenngleich er immer noch das Bajonett auf sich gerichtet sah. » Dann waren die Italiener viel erfolgreicher?«
    » Berlin hat den Fehler gemacht, sich an der niederländischen Manier des Festungsbaus zu orientieren. Die Niederländer opfern der Landschaftsstruktur das Prinzip.«
    » Und das ist falsch?«
    » Natürlich. Aber das ist nicht das Einzige. Das Wasser in den fünfzig Meter breiten Festungsgräben stand still und faulte. Die Wälle hielten der modernen Artillerie nicht Stand, sie mussten mit Sandstein ausgemauert werden. Keine siebzig Jahre nach der Fertigstellung wurde alles abgerissen. Diese Vergeudung von Ressourcen! Können Sie überhaupt ahnen, wie viele Berliner jahrzehntelang zur Arbeit zwangsverpflichtet wurden? Ihre Grundstücke enteignet, ohne Entschädigung … Alles für eine törichte Anlage ohne Geist!«
    » Hm. Mit der Verbesserung der Waffen wurden die alten Anlagen doch überflüssig, oder?« Sternenberg beobachtete, dass van Tannen das Gewehr etwas legerer hielt.
    Seine Antwort klang dennoch scharf. » Ich habe Ihnen gesagt, dass es bei der äußeren Form, zum Beispiel bei der Stadtmauer, nicht nur auf das Militärische ankommt. Innerhalb der Begrenzung erst kann die Stadt zu ihrer vollen Blüte gelangen. Dazu muss sie optimal durchdacht sein. Und man darf nicht zimperlich sein, dafür alte Strukturen zu zerschlagen und neu zu bauen.«
    » Verstehe. Wie hätten Sie denn Berlin gebaut?«
    Peter van Tannen riss die Feuerwaffe mit der Langklinge hoch und trat einen Schritt auf Sternenberg zu. Er sah ihn an. Jeglicher Charme, den Sternenberg an ihm entdeckt hatte, war ihm abhandengekommen. Dennoch schien er einzulenken. Er gab ihm ein Zeichen, in ein anderes Zimmer zu gehen. Das Licht eines Scheinwerfers in dem ebenfalls schwarzen Raum fiel auf eine Karte des modernen Berlin. Über die schwarz-weiße Zeichnung der Stadtkarte waren in bunten Farben konzentrische Kreise gemalt – oder besser gesagt: stern- und festungsähnliche Gebilde. Zuerst
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