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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer
Autoren: Joerg Liemann
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kühl.«
    Er goss Orangensaft in die Gläser, setzte sich und stützte das Kinn auf die Faust. » Die ganze Zeit habe ich darauf gewartet, dass es kalt wird. Jetzt ist mir kalt.«
    Isabel wirkte vergnügt. Sie kreiste mit dem Zeigefinger über dem Brötchenkorb und zögerte die Entscheidung genüsslich hinaus. » Weißt du eigentlich, dass wir eine Feuerwehruniform gefunden haben?«
    » Bei van Tannen?«
    Sie nickte. » War nicht besonders gut versteckt. Lag einfach in der Wäsche. Ich hoffe, das verschafft uns bessere Karten vor Gericht. Van Tannen schweigt. Und unsere Aussagen haben die Richterin nicht überzeugt. Dabei – was will sie mehr als das Waffenlager und die Pläne und die Tatsache, dass die Brände in Sternform gelegt wurden, genau so, wie van Tannen es in seinen Plänen aufgezeichnet hat? Sogar die Anwältin Severus sieht jetzt ein, dass sie beinahe ein Opfer seiner Brandstiftung geworden wäre. – Hast du gesehen, dass dein Haus fast demnächst dran gewesen wäre?«
    » Was meinst du mit fast?«
    » Na ja. Ein Stück weiter, Schwedter Straße.« Sie tropfte sich Honig auf ein mit Butter bestrichenes Mohnbrötchen. » Sage mir mal, was van Tannen mit seiner merkwürdigen Festung vorhatte. Du meintest, er wollte sich auf einen Krieg vorbereiten und Berlin dafür rüsten?«
    » Was genau seine Vorstellungen sind, hat er nicht gesagt. Ich vermute, dass er mit seinen Bränden eine Zeremonie veranstaltet hat. Am Schluss hat er überall einen Vermessungspunkt hinterlassen, so wie in seinem Plan eingezeichnet. Wahrscheinlich wollte er von diesem Stern aus einen noch weiteren, viel größeren Stern bauen, der ganz Berlin umfasst hätte. Er sprach von weiteren Linien.«
    » Und er immer im Zentrum … Zu den Linien haben wir noch nichts gefunden. Aber wir sind längst nicht mit allem durch. Das müssen hunderttausende von Rollen sein. Ein Lebenswerk. Der hat mächtig was an der Glocke, wie Tarek sagt. Fackelt schlafende Menschen in ihren Wohnungen ab.«
    Sternenberg schaute in die Kaffeetasse, die er sich dicht vor die Augen hielt. » Und einen Schuppen mit Haustieren, die von den Kindern geliebt und gebraucht wurden. Er hat sich irgendwann entschlossen, keine Rücksicht auf die Wirklichkeit zu nehmen, wie wir sie kennen.«
    » Wie kann es so viel Wahnsinn geben?«
    » Tja … Als er ein Kind war, hat man keine Rücksicht auf ihn genommen. Vielleicht ist es eine unbewusste Umkehr. Er hat von Kindern gesprochen, denen es auch schlecht ging und die sich durchkämpfen mussten, ähnlich wie er. Aber diese Kinder gibt es längst nicht mehr, sie vegetierten in Zilles altem Berlin. Offenbar konnte er etwas für diese Menschen der Vergangenheit empfinden. Aber die heute lebenden Kinder hat er abstrahiert, gar nicht wahrgenommen.«
    » Er ist so wahnsinnig geworden, weil die Eltern ihn abgeschrieben haben? Weil er sich ganz allein durchkämpfen musste? Dann müsste es aber noch viel mehr Verrückte geben.«
    » Es gibt viele, viele Verletzte da draußen, Isabel.«
    » Kann sein. Aber wann genau ist der Punkt, an dem die Verletzung umschlägt und in Wahnsinn ausartet? Ist das eine Flucht?«
    Er lächelte. » Ich bin auch nur Polizist, Isabel, kein Psychologe. Unser Job ist es, nicht dauernd nach dem Warum zu fragen, sondern Dinge zu nehmen, wie sie sind. Und wenn sie noch so verrückt sind.«
    Sie lächelte zurück, mit einer Spur Überlegenheit. » Du bist Seelsorger. Der Seelsorger Kai fragt nicht nach dem Warum?«
    » Nein.« Ich werde plötzlich zu ernst für dieses Gespräch, dachte er. » Nein, wenn ich mich bei jedem Anrufer fragen würde, ob er sozusagen normal ist – dann könnte ich es nicht mehr.«
    » Okay, das kann ich nicht beurteilen.« Sie strich sich die Haare hinter die Ohren. » Hast du dich eigentlich mit deinen Kumpels von der Telefonseelsorge wieder vertragen?«
    » Kumpels! Das ist nicht ganz das exakte Wort, Isabel. Es ist schon seit Jahren ein Auf und Ab. Wahrscheinlich bleibt es so. Vielleicht ist sogar diese Tante da von neulich bereit, wieder mit mir zu reden. Wäre ja verrückt, wenn man bei der Telefonseelsorge nicht mehr miteinander sprechen würde.«
    » Verrückt, ja. Ich wundere mich einfach maßlos, dass ein Mensch sich so in eine abstruse Idee verrennen kann. Ich bin wieder bei van Tannen, entschuldige!«
    » Man verrennt sich ganz schnell. Sieh uns Polizisten an: Wir haben einen Kollegen, der der Lösung ziemlich nah gekommen ist, der aber zu lange dafür gebraucht hat und sich in
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