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Black Mandel

Black Mandel

Titel: Black Mandel
Autoren: Berni Mayer
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1: KRAFTBLUES
    Ich träume von einem Hotel in der Petersburger Straße, wo wir uns alle versammelt haben. Die Idee ist ein bisschen verrückt, in der eigenen Stadt in einem Hotel zu übernachten, aber wir wollten das immer schon tun. Den Abend verbringen wir an der Hotelbar und betrinken uns mit überteuerten Cocktails. Ich entschuldige mich kurz, weil ich aufs Klo muss. Ich möchte zum Scheißen nicht auf die Toilette in der Lobby, also fahre ich mit dem Aufzug ganz nach oben, um das Klo in meinem eigenen Zimmer zu benutzen. Als ich das Zimmer wieder verlasse und zurück zum Aufzug gehe, bemerke ich, dass noch eine kleine Treppe nach oben führt. Ich steige die Treppe hinauf bis zu einer kleinen Stahltür, die nur angelehnt ist. Ein unendlich geräumiger Dachboden liegt dahinter, ein regelrechtes Labyrinth. Die Hoteleinrichtungen von Jahrhunderten werden hier aufbewahrt. Überall stehen alte Schränke und Sessel, hängen Kleidungsstücke, die Gäste aus vergangenen Zeiten in dem Hotel vergessen haben. Überall liegt Staub, überall riecht es nach Ewigkeit. Das Alte ekelt mich an, diese Bewahrungsmanie der Leute, dieser panische Historismus, diese zwanghafte Angst vor dem Neuanfang. Selbst der letzte Scheißdreck wird noch aufgehoben, weil man ihn ja irgendwann noch mal brauchen könnte. Ich nehme das Streichholzbriefchen, das ich unten in der Bar zu meinem Cocktail bekommen habe, zünde ein Streichholz an und werfe es in eine offene Holzkiste mit alten Kleidungsstücken. Dann gehe ich, ohne mich umzudrehen, wieder zurück in mein Stockwerk und nehme den Aufzug nach unten. An der Bar sitze ich mit den anderen und warte, bis der Feueralarm einsetzt.
    Lang ging das nicht mehr gut mit uns.
    »Hast du dir schon überlegt, ob du heute Abend mitkommst?«, fragte der Mandel.
    »Ja, hab ich. Und zwar schon letzte Woche«, sagte ich.
    »Und?«, fragte der Mandel.
    »Ich komm nicht mit«, sagte ich.
    »Na gut«, sagte der Mandel und zündete sich eine Zigarette an, während er die Beine auf den Doppelschreibtisch legte, sodass seine italienischen Lederstiefeletten in meine Tastatur hineinragten.
    »Ich sag dir auch, warum ich nicht mitkomme«, sagte ich, aber der Mandel starrte bereits wieder rauchend aus der breiten Ladenfront zum Nordufer hinaus. Wir hatten ausgemacht, dass wir uns jede Woche mit dem Schreibtischplatz abwechseln. So schaute jeder eine Woche lang raus aufs Nordufer. Der Mandel saß jetzt schon die dritte Woche in Folge auf dem Platz mit der besseren Aussicht.
    »Ich komme nicht mit, weil ich so einen Spleen nicht unterstütze«, sagte ich.
    »Was meinst du mit Spleen?«, fragte der Mandel, ohne den Blick von der Uferpromenade abzuwenden. Mittlerweile gab es auch hier junge, gut aussehende Mütter, die mit Kinderwagen an der schäbige Uferpromenade patrouillierten, deshalb war der Platz mit dem Norduferblick auch so begehrt. Wie sie so gelangweilt in völlig austauschbaren Kleidungsstücken über die Schlaglöcher dahinliefen, ihres Frauseins völlig beraubt, das hatte eine wahnsinnige Erotik.
    »Den Bluesrock-Spleen. Den meine ich«, sagte ich.
    »Das ist kein Spleen. Mit Bluesrock hat überhaupt alles angefangen«, sagte der Mandel.
    »Mit dem Urknall hat alles angefangen«, sagte ich.
    »Was regst du dich denn so auf?«, fragte der Mandel und holte einen Schokoriegel aus seiner Schreibtischschublade, die eigentlich diese Woche meine Schreibtischschublade hätte sein sollen. Und wenn er schon wieder fragt, warum ich mich so aufrege, obwohl ich mich gar nicht aufrege, dann rege ich mich noch viel mehr auf.
    »Ich reg mich überhaupt nicht auf. Ich finde es nur merkwürdig, sich an einem Mittwochabend, mitten im Winter, die zweieinhalb Stunden bis nach Stralsund raufzuquälen, um irgendeine halb verweste DDR -Bluesrock-Band in einem heruntergekommenen Gasthaus anzuschauen. Das deutet alles auf einen Spleen hin.«
    »Nicht irgendeine. Monokel. Das ist Kraftblues. Das hatte eine totale Brisanz damals. War vielleicht nicht ganz so brisant wie Freygang, aber doch brisant. Außerdem haben wir schon Frühling.«
    »Wer ist bitte Freygang ?«, sagte ich.
    » Der Blues muss bewaffnet sein, sonst glaubt dir kein Schwein , das sind Freygang«, sagte der Mandel, als handle es sich um das Allgemeinwissen schlechthin. Er fuhr sich mit beiden Händen sanft durch die gegelte Frisur, als genieße er die Konsistenz seines Haars.
    »Kennt keine Sau«, sagte ich und dachte, dass er wirklich langsam alt wird. Immer grauer und
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