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Adrianas Nacht

Adrianas Nacht

Titel: Adrianas Nacht
Autoren: Leon von Winterstein
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1.
    Du warst mit einer guten Freundin zu diesem Empfang am Freitag eingeladen, bei dem sie Dich unbedingt dabeihaben wollte. Sie hatte gesagt, es würde eine große Gesellschaft, und es sei unabdingbar, dass Du dabei wärst, weil sie sich sonst dort nicht hintrauen würde. Also bist Du mitgegangen, hast Dir, wie es erwartet wird, ein feines Kleid angezogen, warst beim Friseur, hast Dich fein gemacht und dachtest vor dem Spiegel, kurz bevor Ihr losgefahren seid: Perlen vor die Säue …
    Der Empfang stellte sich als ein Bankett heraus. Hauptsächlich Leute aus der Immobilienbranche, in der auch Deine Freundin tätig war, Leute, die Du zum Teil kanntest, und auch deshalb interessierten sie Dich nicht. Bis zum Beginn des Essens standest Du an der Seite Deiner Freundin, schütteltest Hände, hörtest manches Kompliment über Dein Kleid, hörtest viele Dinge aus der Geschäftswelt, die Dich nicht interessierten, und trankst einige Aperol Spritz zu viel.
    Zum Essen wurdet Deine Freundin und Du getrennt. Die Idee des Gastgebers, die Gesellschaft zu mischen, kam nicht gut an, aber Dir gefiel der Gedanke besser, hier vielleicht jemanden kennenzulernen, mit dem es sich plaudern ließ, als den Abend neben Deiner Freundin zu verbringen, die hier dringend einige Kunden für ihr Geschäft akquirieren musste.
    Prosecco und Aperol taten ihre Pflicht, und schon zu Beginn des Diners machte sich eine Leichtigkeit und Unbeschwertheit in Dir breit, die Dich durch die folgenden Stunden trug. Das Essen schmeckte vorzüglich. Junge, gutaussehende Kellner legten immer wieder nach Deinen Wünschen nach, schenkten Wein ein, sobald das Glas zur Neige zu gehen drohte. So verwandelte sich die erst etwas steife Gesellschaft bald in ein munter plauderndes Durcheinander.
    Nach dem Dessert saß Deine Gruppe noch am Tisch, andere hatten sich erhoben. Ihr spracht recht aufgebracht über eine neue, spektakuläre Actionfernsehserie. Plötzlich spürtest Du, wie ein Arm über Deine Schulter langte, anders als die der Kellner. Ein angenehmer Duft umwölkte Dich, und eine gepflegte Männerhand ließ ein gefaltetes Stück Papier vor Dir auf den Tisch fallen. War es eine Ahnung? Schnell nahmst Du das Papier und ließest es in Deiner Handfläche verschwinden. Es brannte dort wie ein Geheimnis. Du entschuldigtest Dich kurz und ließest Dir den Weg zur Damentoilette weisen. Schon auf dem Weg dorthin, eine Treppe hinauf, den Flur entlang bis zur dritten Tür, begannst Du, den Zettel aufzufalten. Als Du oben an der Treppe angekommen warst, hattest Du ihn entfaltet, drehtest Dich zur Gesellschaft in dem großen Salon um und lasest: Du bist schön, aber Du bist zu traurig, und bald wird man Dir Deine Einsamkeit an der Nasenspitze ansehen. Ich würde Dich gern gleich treffen. Dort. Vom Dort ging eine gestrichelte Linie auf einer lustigen, ungelenken Skizze von Deinem Platz aus zur Tür, über die Veranda, die inzwischen mit vielen Rauchern bevölkert war, über den Rasen, auf dem auch einige Gäste flanierten, hin zu einem kleinen, unscheinbaren Häuschen am Ende des Gartens.
    Du blicktest auf, schautest suchend in die Menge, Dich fragend, wer Dir da geschrieben hatte. Dein Blick wanderte über die Menschenmenge und plötzlich – Du hattest das Gefühl, Dir würde eine grässlich verräterische Röte ins Gesicht schießen – traf sich Dein Blick mit dem eines Mannes mittleren Alters, interessant, positive Ausstrahlung, gut aussehend, der lächelnd und Dich voller Zuneigung betrachtend in der Menge stand. Er hob kurz die Hand zur Andeutung eines Winkens, lächelte noch einmal, drehte sich langsam um, zeigte sich sozusagen selbst mit dem Finger den Weg und ging genau auf der in der Wirklichkeit ja unsichtbaren gestrichelten Linie entlang, die sich in Deiner Phantasie auf die Szenerie zeichnete.
    Was solltest Du tun? Wie von Fäden gezogen gingst Du die Treppe wieder hinunter, suchtest Dir einen Weg durch die Menge, lächeltest mit jedem Schritt mehr und erreichtest schließlich die Terrasse. Dort stand der Mann wieder zwischen den Gästen, als Du aus der Tür tratest. Er lächelte. Schon mochtest Du sein Lächeln. Er fing Deinen Blick auf, und schon mochtest Du diesen milden, freundlich fröhlichen Blick. Dann drehte er sich wieder um und schritt weiter auf die große, akkurat gemähte Rasenfläche hinter der Terrasse, die an ihren Rändern mit Fackeln illuminiert war. Du sahst den Mann langsam, genießerisch und voller Selbstbewusstsein seinen Weg entlang der
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