Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adrianas Nacht

Adrianas Nacht

Titel: Adrianas Nacht
Autoren: Leon von Winterstein
Vom Netzwerk:
sich allerdings keine so großen Hoffnungen machen. Das Koma sei zu tief, die Schwellung ihres Gehirns anfänglich wohl zu hoch gewesen, als dass er sich vorstellen könne, sie würde wieder erwachen. Natürlich könne man das nie genau wissen, dazu sei das Gehirn zu komplex. Aber falls Adriana doch erwachen sollte, das hätte er der Familie allerdings noch nicht mitgeteilt, ginge er davon aus, dass ihr wohl eine geistige Behinderung bleiben würde von diesem grauenvollen Unfall.
    Als ich dieses Gespräch belauscht hatte, war ich verzweifelt. Meine Geschichte war so eng mit der Adrianas verknüpft, und unser Treffen an jenem Abend hatte so unweigerlich zu Adrianas Unfall geführt, dass mich all dies sehr traurig machte. Wie konnte eine Geschichte, die so unglaublich begonnen hatte, mit so viel Lust und Glück und Spaß, ein solches Ende finden?
    In genau diesem Moment beschloss ich wohl, dass die Geschichte von hier aus erst ihren Anfang nehmen sollte. Ich würde mich ein zweites Mal in Adrianas Leben einmischen, und ich würde alles versuchen, ihr dieses Leben, ein Leben, ihr Leben wiederzugeben und meine Schuld zu tilgen. Ohne irgendeine wirkliche Idee, wie das gehen könnte, rannte ich aus dem Krankenhaus, setzte mich in meinen Wagen und fuhr zu meinem, nein, zu unserem Lieblingsitaliener.
    Weder von Geisterhand noch durch Zufall, aber auch nicht wirklich gewollt, kam ich an der Unfallstelle vorbei. Es gibt Kraftlinien in der Stadt, persönliche Schwerpunkte, Irrwege, die einen immer wieder anziehen – ob man will oder nicht. Wie oft landet man, wenn man das Haus verlässt und keinen Plan hat, wohin, im selben langweiligen Café, in dem man sich schon so oft geschworen hatte, dort nie wieder seinen Kaffee zu trinken.
    Ich stoppte meinen Wagen am rechten Straßenrand, saß einige Minuten still da, starrte vor mich hin und knetete meine Hände auf dem Lenkrad. Vor mir sah man noch einen Hauch der Bremsspur des pechschwarzen Jeeps auf der Fahrbahn. Sonst war alles gründlich aufgeräumt und gereinigt worden. Keine Glassplitter mehr, kein Blech, kein ausgelaufenes Öl.
    Über die jetzt leere Straße legten sich in der Erinnerung die Bilder jener Nacht. Wie ich dort an der Laterne stand, zwischen den Schaulustigen, den Tränen nahe, unter Schock und unfähig, etwas zu tun. Ich hatte die Polizei alarmiert, immerhin, aber meine Handynummer war wie gewöhnlich unterdrückt, und so tauchte ich auch bisher nicht in den Unfallakten auf. Ich war, nach den Aussagen anderer Zeugen, der Hauptzeuge. Man suchte nach mir, wie ich in einer kleinen Notiz in der Zeitung gelesen hatte. Aber ich gab mich nicht zu erkennen, denn ich wollte unser Geheimnis nicht preisgeben. So stand ich dort in jener Nacht, starrte auf die grauenhafte Szenerie, sah Adrianas Mann kommen, ihre Tochter, die im Wagen des Vaters allein saß und wohl alles sehen konnte, sah, wie die Feuerwehr Adriana schließlich aus dem fremden Wagen gesägt hatte, sie heraushob und auf die Trage der Sanitäter legte. Wie sie sie vorsichtig zum Krankenwagen schoben, der Notarzt sie versorgte, sich die Türen schlossen und der Wagen mit Martinshorn die vom Flackern der vielen Blaulichter surreal beleuchtete Szenerie verließ. Wieder wusste ich nicht, wohin mit meinen Gefühlen, mit meiner Schuld, mit dieser völligen Hilflosigkeit, die ich bis zu jenem Tag nicht gekannt hatte und die mich nun umso mehr deprimierte.
    Ich ließ den Motor an und fuhr weiter, langsam erst, weg von diesem verfluchten Ort, der mir alle Leichtigkeit genommen hatte, ließ mich intuitiv durch die Straßen treiben, fuhr, ohne den Weg später zu erinnern, zu unserem Restaurant. Unser Restaurant war es geworden, weil wir hier mehrmals miteinander in bester Laune gespeist hatten, bevor oder nachdem wir unsere wundervollen Spiele gespielt hatten. Adriana war sich sicher gewesen, hier niemanden zu treffen, der sie, und schlimmer noch, sie und ihren Mann kennen würde. Und so war es auch. Nie trafen wir jemanden, dafür hatte uns aber bald der scheinbar einzige Kellner des Restaurants ins Herz geschlossen. Sein Name, den er uns bereits am zweiten Abend mitteilte, war Canan, er war in Hamburg geboren, hatte mit Italien also genauso viel zu tun, wie man als türkischstämmiger Deutscher nach einer zweitägigen Reise nach Pisa eben hat. Aber er war der perfekte italienische Restaurantkellner, einfühlsam, aufbrausend, geschäftstüchtig und glücklich, wenn seine Kunden glücklich waren. Endgültig überzeugt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher