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Liebe in Zartbitter

Liebe in Zartbitter

Titel: Liebe in Zartbitter
Autoren: Christa Dorn
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Prolog
    „Würden Sie sich bitte ausweisen, Mademoiselle! Ich darf Sie sonst nicht vorbeilassen.“
    Die Stimme des Uniformierten klingt bereits ungeduldig. Die Menschenschlange wird es langsam auch. Ich höre ihr unwilliges Murmeln. Die direkt hinter mir Wartenden starren mich an wie ein Wundertier. Wofür halten die mich? Für eine Hochstaplerin, vielleicht gar für eine Terroristin? Das fehlt mir heute gerade noch.
    „Es tut mir leid, ich kann es nicht ... Meine Papiere sind ...“, stammele ich und zeige meine leeren Hände vor. Was soll ich auch anderes machen? Meine Handtasche ist im Reisebus. Und der ist ... Ich habe keine Ahnung, wo.
    „Außerdem hat mich dieser Herr hier auf dem Vorplatz aufgelesen ... Wahrscheinlich ist das Ganze nur ...“
    Bevor ich meine etwas umständliche Erklärung, dass ich gar nicht vorgehabt habe, dieses Gebäude zu betreten, fortsetzen kann, wendet sich der Uniformierte an den Mann im eleganten dunkelgrauen Anzug, der nervös auf seine Armbanduhr sieht. Er hat mich vor ein paar Minuten draußen angesprochen und ehe ich mich versah, fast gewaltsam hier herein gelotst. Der Sicherheitsbeamte fragt ihn etwas auf Französisch.  Ich verstehe es nicht.
    „Oui, oui, c‘est Mademoiselle Boyer“, nickt der Mann im Anzug etwas hektisch, deutet auf die grüne Kennkarte, die der Uniformierte vor sich liegen hat, nimmt sie und hängt sie mir um den Hals. „Nous sommes pressés, Pierre.“ (Wir sind in Eile.)
    „Je suis désolé, mais j'ai mes directives, Monsieur de Marville!“ (Es tut mir leid, aber ich habe meine Vorschriften!)
    Ich höre an seinem Tonfall, dass der Wachmann Widerspruch einlegt, doch mein Begleiter winkt gereizt ab.
     „Also, ich weiß wirklich nicht, was das alles zu bedeuten hat“, unternehme ich einen weiteren Versuch, die Angelegenheit aufzuklären. Aussichtslos, die beiden hören mir nicht zu.
     „J'atteste pour cette dame!“ (Ich verbürge mich für diese Dame.) – Allons! Dépêchez-vous, Mademoiselle!“ (Kommen Sie schon!)
    Das gilt mir. Bevor ich protestieren kann, fasst er wieder mein Handgelenk und zerrt mich, wie man es mit einem bockigen Kind tut, regelrecht durch die Sperre. Dutzende Augenpaare verfolgen die Aktion,  teils mit skeptischem, teils mit amüsiertem Blick.
    Ich gebe auf und lasse mich mitziehen. Was soll ich auch sonst tun, um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen?
    Mademoiselle Boyer, grüble ich. Soll das etwa ich sein? Ich schiele auf das Bild auf der Kennkarte. Es ist von schlechter Qualität, doch mit ein bisschen gutem Willen könnte man tatsächlich eine Ähnlichkeit mit mir feststellen. Der Sicherheitsmann hat sich allerdings ausschließlich für die elektronische Kennung interessiert.
    Während wir die Rolltreppe hinauffahren, versuche ich erneut, meinem Begleiter verständlich zu machen, dass es sich um eine Verwechslung handeln muss.
    Ich komme nicht zu Wort, weil er mich mit einem Wortschwall überfällt. Natürlich wieder auf Französisch.
    Als er keine Antwort erhält, scheint ihm langsam zu dämmern, dass ich ihn nicht verstehe.
    „Vous ne parlez pas français?“ (Sie sprechen nicht Französisch?)
    Auf meinen fragenden Blick hin, zieht er eine Grimasse und schaltet auf Deutsch um.
    „André de Marville, Vize-Präsident und Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Währung. Ich organisiere die morgige Anhörung“, stellt er sich nun in deutscher Sprache noch einmal vor. „Aus dem Kanzleramt man hat mir mitgeteilt, dass das Bundesfinanzministerium schickt eine Referentin. Doch ich bin natürlich ausgegangen davon, dass diese Person kann Französisch. Impossible!“, flucht er leise vor sich hin.
    Kanzleramt? Referentin? Ich verkneife mir den altbekannten Witz, dass es bei mir nur mit der Sprache hapert, und höre ihm weiter zu. Der Klang seiner Stimme hat Suchtpotenzial. Sein Akzent ist bezaubernd. Dieses ‚isch‘ statt ‚ich‘ und das verschluckte ‚h‘ erinnern mich an Jerome – und, das muss ich zugeben, er sieht verdammt gut aus. Ein echter Traummann. Groß und breitschultrig, mit Augen, die wie dunkler Bernstein leuchten. Markant ist eine winzige Kerbe im Kinn, die sein gebräuntes Gesicht unverwechselbar macht und verhindert, dass er wie ein Schönling aus dem Katalog wirkt. Nach den Ohren und den Augen, nimmt er nun auch meine Nase für sich ein, mit den Noten von Lavendel und Bergamotte, die sein Eau de Toilette verströmt.
    Jetzt, wo er deutsch mit mir redet, wäre der geeignete Zeitpunkt
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