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Verwesung

Verwesung

Titel: Verwesung
Autoren: Simon Beckett
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Kapitel 1
    «Wie war der Name?»
    Das Gesicht der Polizistin war kalt, in jeder Hinsicht. Ihre Wangen waren rissig und rot, ihre weite gelbe Jacke glitzerte vom Nebel, der sich über das Land gelegt hatte. Sie betrachtete mich mit unverhohlener Abneigung, als machte sie mich nicht nur für das schlechte Wetter verantwortlich, sondern auch dafür, dass sie an einem solchen Tag draußen im Moor stehen musste.
    «Dr.   David Hunter. Ich gehöre zum forensischen Team. Detective Chief Superintendent Simms erwartet mich.»
    Mit mehr als deutlichem Widerwillen betrachtete sie ihr Klemmbrett und hob dann das Funkgerät. «Hier ist jemand, der zum Ermittlungsleiter will. Ein Mr.   David Hunter.»
    «Doktor», korrigierte ich sie.
    Mit einem Blick machte sie mir klar, dass ihr diese Unterscheidung völlig egal war. Aus dem Funkgerät kam ein Rauschen, dann sagte jemand ein paar Worte, die ich nicht verstehen konnte. Die Laune der Polizistin verbesserten sie jedenfalls nicht. Mit einem letzten mürrischen Blick trat sie zur Seite und winkte mich durch.
    «Immer geradeaus, bis zu den anderen Fahrzeugen», sagte sie frostig.
    «Vielen Dank auch», brummte ich und fuhr an.
    Der ganze Wagen war in einen dichten Nebelschleier gehüllt, der sich nur manchmal lichtete, um das düstere, feuchte Moorland vor der Windschutzscheibe erahnen zu lassen. Nach einer Weile sah ich die Fahrzeuge der Polizei, die auf einem relativ ebenen Abschnitt parkten. Ein Polizist winkte mich heran, und der Citroën holperte und schlingerte über den matschigen Boden, bis ich einen freien Platz gefunden hatte.
    Ich machte den Motor aus und streckte mich. Es war eine lange Fahrt gewesen, und ich hatte keine Pause gemacht. Meine Neugier war stärker gewesen als meine Erschöpfung. Simms war nicht ins Detail gegangen, er hatte mir am Telefon nur gesagt, dass im Dartmoor ein Grab gefunden worden war und er mich bei der Bergung dabeihaben wollte. Es hatte nach einem jener Routinefälle geklungen, zu denen ich mehrere Male im Jahr hinzugezogen wurde. Doch seit zwölf Monaten verband man die Worte Mord und Dartmoor nur mit einem Mann.
    Jerome Monk.
    Monk war ein Serienmörder und Vergewaltiger, der vier Morde an jungen Frauen gestanden hatte. Zwei von ihnen waren noch minderjährig gewesen, ihre Leichen hatte man nie gefunden. Sollte hier eine dieser Leichen liegen, bestand die Möglichkeit, dass auch die anderen in der Nähe waren. Ihre Bergung und Identifikation würde eine der größten Ermittlungen des Jahrzehnts werden.
    Und ich wollte unbedingt daran beteiligt sein.
     
    «Man hat immer vermutet, dass er dort seine Opfer vergraben hat», hatte ich am Morgen in der Küche zu meiner FrauKara gesagt, während ich mich hastig fertig machte und meine Sachen zusammensuchte. Wir wohnten bereits seit über einem Jahr in dem alten Haus in South West London, aber ohne Karas Hilfe fand ich mich noch immer nicht zurecht. «Dartmoor ist ein riesiges Gebiet, aber so viele Leichen können dort nicht liegen.»
    «David», mahnte Kara und schaute hinüber zu Alice, die gerade frühstückte. Ich zuckte zusammen und warf ihr einen schuldbewussten Blick zu. Normalerweise erwähnte ich die grausigen Einzelheiten meiner Arbeit nicht in Anwesenheit unserer fünf Jahre alten Tochter, doch dieses Mal hatte ich mich von meinem Enthusiasmus mitreißen lassen.
    «Was sind Opfer?», fragte Alice und betrachtete konzentriert, wie der Erdbeerjoghurt von ihrem Löffel tropfte. Nachdem sie vor kurzem beschlossen hatte, viel zu alt für Cornflakes zu sein, war Joghurt ihr Lieblingsessen.
    «Das ist nur Papas Arbeit», sagte ich und hoffte, dass sie nicht weiter nachfragen würde. Sie hatte noch genug Zeit, etwas über die dunkleren Aspekte des Lebens zu erfahren, wenn sie älter war.
    «Warum sind sie vergraben? Sind sie tot?»
    «Komm, Liebling, iss dein Frühstück auf», sagte Kara. «Papa muss gleich los, und wir wollen nicht zu spät zur Schule kommen.»
    «Wann kommst du zurück?», fragte Alice mich.
    «Bald. Ehe du dichs versiehst, bin ich wieder zu Hause.» Ich hob sie hoch. Ihr kleiner Körper war warm und unglaublich leicht, trotzdem erstaunte es mich immer wieder, wie groß sie geworden war. Mir kam es so vor, als wäre sie noch gestern ein Baby gewesen.
Werden alle Kinder so schnell groß?
«Wirst du ein liebes Mädchen sein, solange ich weg bin?»
    «Ich bin immer ein liebes Mädchen», sagte sie empört. Sie hatte noch den Löffel in der Hand, von dem nun Joghurt auf die
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