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Tausche Brautschuh gegen Flossen

Tausche Brautschuh gegen Flossen

Titel: Tausche Brautschuh gegen Flossen
Autoren: Juliane Kobjolke
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Herz zu Herz
     
    Heute ist Tagestag. Lukas’ und mein Tagestag. Keine 20, keine 50, ganze
60 Tage sind wir verheiratet. Eine Mikro-Diamanten-Hochzeit halten wir also.
    Ich lege die DVD in den Player,
dimme die Lichter und geselle mich zu den Kissen auf die Couch. Vorhang auf und
Bahn frei für eine Überdosis Endorphine:
    Der Film beginnt mit einem winzigen
roten Herz. Es bläht sich auf wie ein Luftballon. Unsere Namen, Lena und Lukas,
stehen darauf. Das Herz wird größer, immer heller und steigt schließlich in einen
minimal bewölkten Sommerhimmel auf.
    Der Innenhof der mittelalterlichen
Wartburg wird eingeblendet, es folgt ein Schwenk auf den Turm und die Burgmauern.
Vor dem Eingang zum Zeremoniesaal warten die Gäste. Viele sind es nicht, denn Lukas
und ich wollten eine Hochzeit ausschließlich mit den Menschen, die tatsächlichen
Anteil an unserem Leben haben. Also warten dort meine Schwiegereltern, meine Großeltern
sowie mein Bruder und seine Familie. Die Braut, also ich, die Brauteltern und die
Freundinnen der Braut werden gleich eintreffen und perfekt im Zeitplan liegen, denn
der Brautvater war so umsichtig, die zwei Kilometer lange Baustelle vor Eisenach
zu umfahren.
    Wenig später fährt die Limousine
mit Sondergenehmigung auf den Hof. Der Brautvater steigt aus und öffnet die hintere
Tür des auf Hochglanz polierten Wagens.
    Und da bin ich in meinem wunderschönen
Kleid. Es ist schlicht und fasziniert ganz ohne Rüschen, Perlen, Unterrock und Schnickschnack.
Kaum stehe ich auf zwei Füßen, ist meine Mutter bei mir, um eines der weißen Blümchen
festzustecken, das sich aus meinen hochgesteckten schwarzen Haaren gelöst hatte.
Meine Mutter sagt etwas, das vom Geschnatter meiner Freundinnen übertönt wird. Ihr
Auto mussten sie ein Stück weiter unten, auf dem letzten offiziellen Parkplatz der
Burg stehen lassen und den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen. Man hört sie lange,
bevor sie den Hof betreten, denn Nina und Lilly sind in eine ihrer Diskussionen
verstrickt. Anlass zu Unstimmigkeiten gibt diesmal offenbar Lillys Fahrstil und
ihre Angewohnheit, besonders häufig auf die Bremse zu treten. Die Worte fliegen
wie Pingpongbälle zwischen den Frauen hin und her, bis Hannahs Stimme ertönt und
sie dem Streit mit einem einzigen Satz ein Ende bereitet. Als der Fokus der Kamera
auf sie fällt, haben die Streithähne längst Unschuldsmienen aufgesetzt und gesellen
sich unter Vortäuschung eitlen Friedens zu mir.
    Ich erinnere mich, ich war den gesamten
Morgen so aufgeregt, dass meine Mutter mir mit verrutschten Lidstrichen drohte.
Daraufhin brachte ich meinen Vater im wahrsten Sinne des Wortes zur Raserei, um
ihn später auf die Geschwindigkeitsbeschränkungen aufmerksam zu machen. Wahrscheinlich
wäre er am liebsten ausgestiegen und hätte mir den Platz hinter dem Steuer angeboten,
doch meine Mutter klopfte ihm immer wieder beschwichtigend auf das Knie. So lange,
bis er sich mehr darüber aufregte, als über meine nervösen Kommentare. Wenige Kilometer
vor Eisenach schob sich die Sonne durch die Wolkendecke. Die Limousine erklomm
die letzte Kuppe vor der Stadt und vor uns lag die Wartburg. Meine Burg an diesem
Tag. Sie hieß mich willkommen von dort oben auf ihrem Hügel, inmitten dichten Grüns
und einem Meer aus Ziegeldächern. Bei diesem Anblick waren sowohl Übelkeit als auch
Unruhe vergessen und mit einem leichten Kopfschütteln fragte ich mich, warum ich
überhaupt nervös, ja, halb ängstlich gewesen war. Was für eine Verschwendung von
Emotionen, die ich lieber darauf verwendet hätte, mich zu freuen, zu genießen, glücklich
zu sein. Und das bin ich in dieser Minute, die ich gerade zum x-ten Mal über den
Bildschirm flimmern sehe, weshalb mich weder die Kämpfhähnchen von Freundinnen aus
der Fassung bringen noch meine Schwiegermutter, die sich zunehmend verärgert über
das Fehlen ihres Sohnes zeigt.
    Selbst der besorgte Blick der Standesbeamtin,
die aus dem Saal kommt, um sich zu erkundigen, ob die Hochzeitsschar vollständig
ist, beunruhigt mich nicht. Mit einem Lächeln lasse ich sie wissen, dass Lukas schon
auftauchen wird. Mein Vater macht einen Witz, über den alle lediglich deshalb lachen,
weil sie den Gedanken an die schlimmste Situation überhaupt von sich schieben möchten.
Als ich mich ein wenig abseits setze und meine Familie und Freunde beobachte, findet
die Sonne abermals eine Wolkenlücke und sendet ihre Strahlen exakt zu der Stelle,
die ich mir zum Warten ausgesucht habe. Mit
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