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Die Mordaugen von Brüssel

Die Mordaugen von Brüssel

Titel: Die Mordaugen von Brüssel
Autoren: Jason Dark
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In dieser Nacht peitschte der Wind den Regen als lange, nie abreißende Fahne vor sich her. Das Wasser überschüttete die Stadt, ließ die Kanäle über die Ufer treten und scheuchte die Ratten in die Keller. Es war die Nacht des Orkans, der ungebändigten Natur und der Angst des Menschen.
    Sie verkrochen sich in ihren Häusern, Wohnungen und Hotels. Mühsam bahnten sich vereinzelt fahrende Autos ihren Weg durch die Wassermassen. Fußgänger waren kaum zu sehen. Und wenn, dann hasteten sie mit aufgespannten Schirmen und geduckt über die Gehsteige oder standen in schützenden Hauseingängen, frierend, naß, fluchend.
    Nur der einsamen Gestalt im langen Regenmantel machte das Wetter nichts aus. Der Mann schien den Regen zu genießen. Er prasselte auf die Gummihaut und den breitkrempigen Südwester auf dem Kopf der Person.
    Der Mann stand an der Avenue de Atomium. Er hatte den Schutz der nahen Bäume verlassen, konzentrierte sich voll und ganz auf die neun Kugeln sowie deren Verbindungsstreben und verzog die Lippen hin und wieder zu einem kalten lächeln.
    Die Kugeln waren von innen beleuchtet. Sie erinnerten an Gebilde aus einer fernen, anderen Welt, die Reisende bei einem Besuch zurückgelassen hatten. Regenschleier kippten aus den Wolken und wischten wie lange Tücher an den Kugeln vorbei. Das Licht bekam einen verschwommenen Glanz, die beiden runden Fensterreihen in der obersten Kugel sahen aus wie ein glitzerndes, um die Kugel herumlaufendes Band, und der Mann lächelte noch breiter, als er daran dachte, wie viele Menschen auch heute noch das Atomium besuchten.
    Sie würden sich wundern.
    Dieser Regen war kein Zeichen. In diesem Juni regnete es fast nur. Das Zeichen wollte der Mann, der heimliche Beobachter, setzen. Die Zeit war reif, das wußte er. Man hatte die Tafeln gefunden. Wer es schaffte, sie korrekt auszuwerten, der wußte Bescheid. Und wer Bescheid wußte, außer ihm, der war sein Gegner.
    Also hielt er sich bei seinen Worten genau an die Prophezeiung der Anna Katharina Emmerich, einer Seherin, die in Ekstase in aramäischer Sprache redete.
    »Einige Dämonen werden losgelassen zur Strafe und als Versuchung für die Menschen. Ich glaube, daß in unseren Zeiten schon einige entfesselt sind und nach unseren Zeiten wieder welche losgelassen werden.«
    Diese Worte waren um die Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert gesprochen worden. Der Mann, der sie wiederholte, wußte, daß sie ihre Gültigkeit nicht verloren hatten. Und er fügte noch etwas hinzu, er rief es gegen die klatschenden Regenschauer, die seine Worte aufsaugten.
    »Das letzte Siegel wird von mir gebrochen. Denn ich bin Radek und habe die Macht.«
    Als wollte das Atomium seine Worte bestätigen, so leuchteten in den Kugeln für einen Moment neun Augen von einer satanischen Kälte auf, die auch der Regen nicht verwischen konnte…
    ***
    Die gewaltige Baustelle befand sich noch in der Innenstadt von Brüssel, unweit der Kirche Notre-Dame, und sie hatte in den letzten Monaten zu gewaltigen Verkehrsstaus geführt. Man wollte hier ein Hotel bauen, dem ein Tagungszentrum angeschlossen wurde, in dem auch die Abgeordneten der EG sich treffen sollten.
    Wann der Bau fertig war, konnte niemand sagen, und das interessierte Bill Conolly und mich auch nicht, als wir mit dem Taxi über die Avenue du Parc Royal fuhren und uns von Norden her dem Ziel näherten. Die gotischen Spitztürme der berühmten Brüsseler Kirche wiesen uns praktisch den Weg, verfahren konnten wir uns nicht mehr, aber wir steckten schon sehr bald in einem Stau. Der Fahrer, er trug eine Schiebermütze auf dem Kopf, hob die Schultern. »Da kann man nichts machen«, sagte er. »Wir müssen zunächst warten.«
    »Gibt es keine Abkürzung?« fragte Bill.
    »Sehen Sie eine, Monsieur?«
    »Nein.«
    »Ich auch nicht.«
    Ais umweltbewußter Mensch stellte unser Fahrer den Motor ab. Er öffnete das Fenster. Zum Glück regnete es nicht, dafür drang kühle Luft in den alten Mercedes. Es war viel zu kalt für Juni, aber in London hatten wir auch kein besseres Wetter.
    Bill saß neben mir im Fond und strich durch sein braunes Haar. »Damit konnte ich nicht rechnen«, sagte er.
    »Das hätte dir dein Informant auch mitteilen können.«
    »Er wird schon warten.«
    Der Informant, das wußte ich, hieß Maurice Reuven. Er war zwar kein direkter Kollege von Bill, aber er gehörte zu den Menschen, die es schafften, sich einige Scheine nebenbei zu verdienen, indem sie mit offenen Augen durch die
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