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Das Leben der Wünsche

Das Leben der Wünsche

Titel: Das Leben der Wünsche
Autoren: Thomas Glavinic
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    Eine Sekunde! Setzen wir uns auf die Bank vor diesem Brunnen! Ich möchte Ihnen ein Angebot machen.
    Meinen Sie mich?
    Ich meine Sie.
    Kann es sein, dass Sie mich verwechseln?
    Sie heißen Jonas, sind fünfunddreißig Jahre alt, und Ihre Frau heißt Helen.
    Kennen wir uns von früher?
    Sie haben zwei Söhne, Tom und Chris. Sie arbeiten bei der Werbeagentur Drei Schwestern . Ihre Mutter ist tot, Ihr Vater sechsundachtzig, er lebt nach einem Schlaganfall im Pflegeheim. Geschwister haben Sie keine. Seit einiger Zeit schlafen Sie mit Marie, deren Mann Apok heißt und mit dem sie ein Kind hat.
    Sie sind ein Detektiv!
    Ich bin etwas viel Besseres, sagte der Mann. Setzen wir uns!
    Jonas hatte keine Lust, mit ihm zu reden. Der Kopf tat ihm jetzt schon weh, eine halbe Stunde nach Sondheimers Geburtstagsfeier, er vertrug diese verheerende Mischung von Rum und Weißwein nicht, die im Büro getrunken wurde. Ihm war so heiß, dass er das Hemd aus der Hose gezogen und die Krawatte in die Tasche gestopft hatte, und brennender Durst wollte ihn in die nächste Kneipe treiben. Doch er folgte dem Mann und gehorchte auch seiner Geste, als dieser mit der Hand neben sich auf dieBank klopfte. Auf dem Boden stellte der Fremde einen blauen Aktenkoffer ab.
    Sie musterten einander. Der Mann war in Weiß gekleidet, Leinensakko, Bundfaltenhose, Halbschuhe. Er hatte einen Kurzhaarschnitt, er war schlecht rasiert, um den Hals und am Handgelenk trug er ein Goldkettchen. Jonas spiegelte sich in seiner Sonnenbrille.
    Geld? fragte Jonas.
    Der Mann nahm die Brille ab, begann an einem Bügel zu nagen und sah Jonas dabei unverwandt an. Seine Augen waren wasserblau, seine Miene war ausdruckslos. Er schien zu überlegen, wie er das Gespräch eröffnen sollte. Nach einer Minute, in der er Jonas betrachtet hatte, setzte er sich mit einem Ruck zurecht und schob sich die Brille wieder auf die Nase.
    Jonas, ich erfülle Ihnen drei Wünsche.
    Wie wäre es damit: Sie vergessen, was Sie wissen, lassen mich gehen und erschrecken mich nie wieder?
    Ich meine es ernst. Drei Wünsche.
    Hören Sie auf. Was wollen Sie?
    Ich will Ihnen drei Wünsche erfüllen.
    Ich kann mich täuschen, aber ich glaube, im Märchen verströmt die Fee nie so einen Biergeruch.
    Ich bin keine Fee, und das hier ist kein Märchen. Ich erfülle Ihnen drei Wünsche. Nennen Sie sie!
    Sie meinen das wirklich ernst?
    Vollkommen.
    Ach du je. Lassen Sie mich mal überlegen.
    Nur zu.
    Der Mann sah mit ausladender Geste auf die Uhr und verschränkte die Hände im Nacken. Er wirkte teilnahmslos. Die Kinder, die auf der Wiese Frisbee spielten, schienenihn ebenso wenig zu interessieren wie der ungeschickte Jongleur gegenüber oder die grölenden Betrunkenen an der Wurstbude am Ende des Parks. Jonas wartete, aber der Mann sagte nichts.
    Im Brunnen hinter ihnen plätscherte Wasser. Die Sonne brannte Jonas auf den Rücken, sein Hemd hatte er längst durchgeschwitzt. Sollte er einfach weggehen? Was der Mann da erzählte, war verrückt. Er sah allerdings nicht wie ein Verrückter aus. Und er wusste von Marie.
    Drei Wünsche. Und wieso? Weshalb ich? Und wie können Sie sie mir erfüllen, wenn Sie keine Fee sind?
    Bleiben Sie bei der Sache, Jonas. Die Wünsche.
    Aber was gehen denn Sie meine Wünsche an? Ich weiß ja gar nicht, wer Sie sind!
    Ich bin derjenige, der Ihnen drei Wünsche erfüllt.
    Wir drehen uns da im Kreis, scheint es.
    Das ist nicht meine Schuld.
    Hören Sie! Ein Mensch mit Goldkettchen, weißem Anzug und Bierfahne will mir drei Wünsche erfüllen! Das ist ja –
    Das ist auch nicht meine Schuld. Wie ich aussehe, bestimmen Sie.
    Jetzt reicht es aber! Ich haue ab!
    Jonas tat so, als wolle er aufstehen, doch der Mann schwieg. Er schien gelangweilt, als habe er dieses Aufbegehren erwartet oder schon oft erlebt. Jonas sank zurück auf die Bank. Eine alte Frau schleppte sich vorbei, mit einem unsichtbaren Widersacher streitend. Jonas sah ihr nach, bis sie von einer größeren Gruppe Spaziergänger verschluckt wurde.
    Sagen Sie ehrlich, was Sie von mir wollen. Mich erpressen? Wenn Sie so viel über mich und meine Lebensumständewissen, dann wissen Sie auch, was bei mir zu holen ist. Und warum Leid verursachen? Wenn Maries Mann etwas erfährt – er ist Diabetiker, ständig krank, fast ein Pflegefall, weder physisch noch psychisch belastbar, ein armer Teufel eben. Warum so jemanden verletzen? Welchen Sinn hätte das? Und meine Frau, lieber nicht daran denken!
    Sie nehmen mich nicht ernst, und das ist
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