Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verbrechen ist Vertrauenssache

Verbrechen ist Vertrauenssache

Titel: Verbrechen ist Vertrauenssache
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
EINS
    Als der Engel die Tür öffnete, trat Parker als erster in die Dunkelheit des Korridors unter der Bühne. Ein Kirchenlied drang disharmonisch durch die Mauern aus rauhen Hohlblocksteinen – ein Klangbrei aus Tausenden von Stimmen. Der Engel sagte: »Ich bin mir nicht sicher …«
    »Wir schon«, sagte Parker. Er hielt die feuersichere Tür mit der gespreizten Hand auf und nickte Mackey und Liss zu, die mit ihren Seesäcken rasch an ihm vorbeischlüpften. Parker schloss die Stahltür und zog den Hebel hoch, um sie zu verriegeln, während Liss seinen Seesack mit einem gedämpften metallischen Klirren abstellte und die Schnur löste, mit der er zugebunden war. Mackeys Seesack war vollgestopft mit noch mehr Seesäcken und blieb vorerst auf seiner Schulter. Liss schob das grobe Segeltuch des Sacks so weit hinunter, dass die matt glänzenden Läufe zu sehen waren, zog die drei Schrotflinten hervor, reichte zwei davon an Parker und Mackey weiter und warf sich den leeren Sack über die Schulter.
    Blinzelnd sah der Engel ihnen zu. In seinem schweren weißen Gewand und mit den auf den Rücken geschnallten Schwingen aus echten Federn war ihm sicher selbst in der klimatisierten Arena sehr warm; er schwitzte, so dass die weiße Schminke auf seinem Gesicht zerlief und er aussah wie einer, der schon lange tot war. Unter dem Kostüm, der Schminke und dem Schweiß war ihm die Angst anzumerken, und auchdie Augen mit den winzigen Pupillen blickten ängstlich. »Es sind zu viele Wachen«, sagte er. Seine Stimme klang dünn, denn er strengte sich an, leise und gedämpft zu sprechen. »Zuviel los. Wir machen’s ein andermal. Wenn die Gelegenheit günstiger ist.«
    »Wir ziehen das jetzt durch, Tom«, sagte Liss. »Du bist bloß nervös.« Er, Parker und Mackey hatten Patronen aus ihren Hemdtaschen gezogen, die Flinten aufgeklappt und luden sie.
    »Aber ich will es nicht jetzt machen!« Die Stimme des Engels wurde immer schriller und hallte, vermischt mit dem fernen Gesang, von den Wänden des Korridors wider. »Die werden uns schnappen!«
    Dieser Amateur, ihr Insider, war Liss’ Kontaktmann – sollte der sich um ihn kümmern. Parker sah, dass Liss’ Backenmuskeln auf der linken, gesunden Seite seines Gesichts arbeiteten. Liss gefiel es nicht, dass dieser Typ vor versammelter Mannschaft Schwierigkeiten machte. »Mach dir keine Sorgen, okay?« sagte er. »Zeig uns den Weg.«
    Doch der Engel rührte sich nicht von der Stelle. Er blinzelte sich den Schweiß aus den Augen und rang die Hände, so dass sich die schlaffen Flügel auf seinem Rücken bewegten. »Wir können’s nicht machen«, sagte er. »Ich hab’s jemand erzählt.«
    Es wurde ganz still. Sie sahen den Engel an – sein Name war Tom Carmody. Liss sagte: »Einer Frau?«
    Der Engel machte ein verlegenes Gesicht. »Ja. Ich dachte, es wäre in Ordnung, aber –«
    »Aber was?«
    »Sie ist weg. Sie ist nicht zu Hause. Sie ist nicht in der Arbeit. Keiner weiß, wo sie ist.«
    »Gehört sie auch zu diesem Verein?« fragte Parker. »Deinem Verein?«
    »Nein, sie ist Lehrerin in einer Sonderschule. Die wissen auch nicht, wo sie ist.«
    Mackey lehnte seinen Seesack an die Wand. »Wohnt ihr zusammen?« fragte er.
    »Nein, eigentlich nicht. Sie hat ihre eigene Wohnung.« Dem Engel war jämmerlich zumute – er hatte Angst, er schämte sich, er war unglücklich. Außerdem war er ein Arschloch. Er sagte: »Ich weiß nicht, was sie vorhat.«
    »Tom?« sagte Liss. »Habt ihr euch gestritten? Ist sie sauer auf dich? Geht sie vielleicht zu den Bullen?«
    »Nein, nein, auf keinen Fall. Sie ist einfach verschwunden. Ich weiß nicht, warum.«
    Liss sah seine Partner an. Er hatte sie mit ins Boot geholt, und jetzt musste eine Entscheidung getroffen werden. »Was meint ihr?«
    »Wieviel hat er ihr erzählt?« sagte Parker. »Alles –«
    »Nur ein bisschen!« rief der Engel.
    Parker sah ihn an. »Halt’s Maul.« Zu den anderen gewandt, fuhr er fort: »Alles, was sie wissen wollte. Sie weiß also, wie wir reinkommen, sie hat eine ungefähre Vorstellung davon, was dadrinnen abläuft, aber sie weiß nicht, wie wir verschwinden. Wir sind jetzt da – wenn’s Schwierigkeiten gibt, sind wir schon mittendrin.«
    »Stimmt«, sagte Mackey. »Hat keinen Zweck, die Sache jetzt abzublasen.«
    Liss drehte sich zu Carmody um und winkte mit der Flinte. »Zeig uns den Weg.«
    »Bitte.« Carmody breitete die Hände aus, als wäre er ein Engel auf einem Grabmal. »Bitte lasst uns umkehren, es ist ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher