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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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verblüfft.
    Â»Ich bin gesprungen.«
    Mathias wollte etwas erwidern, aber ihm fiel nichts Gescheites ein.
Kein Mensch sprang zwölf Fuß hoch.
    Â»Können wir uns unterhalten?«, fragte er stattdessen.
    Â»Sicher.« Urquhart drehte sich geschmeidig um die eigene Achse und
landete federnd neben Mathias auf dem Boden. Er hatte die blonden Haare zu
einer Art Helm hochgesteckt, der ihn noch größer erscheinen ließ.
    Â»Warten wir, bis die Damen gegangen sind«, brummte Mathias. Er war
verärgert, weil Urquhart ihn unnötig lange hatte zappeln lassen.
    Der Hüne setzte eine überraschte Miene auf.
    Â»Wie kompliziert Ihr denkt! Ist nicht das Offensichtliche den
Sehenden das größte Rätsel? Oculi videant, sed ratio caecus est. Würden
wir uns wie Diebe geben, ängstlich um uns blicken und die Stimmen senken, wenn
jemand daherkommt, verdienten wir den – na, wie nennt man diesen wunderbaren
Turm in Köln – ah ja! Verdienten wir den Weckschnapp. Gebt Euch also offen und
gelassen. Widmen wir den barmherzigen Dienerinnen des lebendigen Gottes unser
Sinnen und ein wenig Höflichkeit.«
    Er drehte sich zu den Stiftsdamen um und verbeugte sich galant.
    Â»Es wird regnen«, rief er. »Besser, wieder ins Innere zu eilen.«
    Die jüngere der beiden strahlte ihn an.
    Â»Auch der Regen ist ein Geschenk Gottes«, rief sie fromm zurück.
    Â»Ja, aber scheint er Euch das auch noch dann zu sein, wenn Ihr
allein in Eurer Zelle liegt, während er unerbittlich gegen die Mauern hämmert,
als begehre der gehörnte König Einlass?« Er hob spielerisch den Finger. »Seht
Euch vor, meine Blume.«
    Â»Gewiss«, stammelte sie erschrocken, während sie Urquhart anstarrte,
als sei er der Fleisch gewordene Grund, das Kloster augenblicklich wieder zu
verlassen. Dann senkte sie rasch den Blick und errötete. Mathias schätzte sie
auf höchstens fünfzehn Jahre.
    Ihre Begleiterin musterte sie von der Seite und schlug hastig das
Kreuz.
    Â»Kommt jetzt«, befahl sie. »Rasch!«
    Sie machte auf dem Absatz kehrt und marschierte mit der Grazie eines
Ackergauls hinüber zu den Stiftsgebäuden. Die Jüngere eilte ihr nach, wobei sie
mehrmals sehnsüchtig über die Schulter blickte. Ihre Wangen glühten und in
ihren Zügen stand das leibhaftige Verlangen. Urquhart verbeugte sich noch
tiefer, während er sie unter seinen buschigen Brauen höhnisch musterte. Die
Sache schien ihn zu amüsieren.
    Dann waren sie wieder alleine auf dem Hof.
    Â»Die wären wir los«, sagte Urquhart selbstzufrieden.
    Â»Ist das eine Eurer Taktiken?«, forschte Mathias kühl.
    Â»Gewissermaßen«, nickte Urquhart. »Das beste Versteck ist die
Öffentlichkeit, die beste Methode, unerkannt zu bleiben, ist, aufzufallen.
Keine der beiden wird uns beschreiben können, nicht einmal mich. Hätten wir uns
abgewandt, wären sie hingegen neugierig geworden, warum wir sie nicht grüßen.
Sie hätten ausgiebig unsere Gesichter studiert, unsere Kleidung, unsere
Körperhaltung.«
    Â»Was mich betrifft, habe ich keine Veranlassung, mich vor
irgendjemandem zu verstecken.«
    Â»Ihr seid ja auch ein Mann von Ehre.«
    Â»Und ich will nicht, dass man uns zusammen sieht«, sagte Mathias
ungerührt. »Unser nächstes Treffen werden wir besser tarnen müssen.«
    Â»Ihr habt den Platz vorgeschlagen.«
    Â»Ja, schon gut. Nun hört auf, den Geist harmloser Schwestern zu
verwirren. Sagt mir lieber, wie Ihr die Sache angehen wollt.«
    Urquhart brachte seinen Mund nahe an Mathias Ohr und redete einige
Minuten leise auf ihn ein. Die Miene seines Zuhörers erhellte sich mit jedem
Wort.
    Â»Und die Zeugen?«, fragte er.
    Â»Sind gefunden und bezahlt.«
    Auf Mathias’ Gesicht erschien ein Lächeln. Es war das erste Mal seit
langer Zeit, dass er lächelte.
    Â»Dann habt Ihr meinen Segen, Urquhart.«
    Der blonde Riese senkte ergeben das Haupt.
    Â»Wenn es dem schrecklichen Gott gefällt«, sagte er.
    Mathias runzelte die Stirn. Er versuchte, sich zu erinnern, wo er
diese Formulierung schon gehört hatte. Der schreckliche, der
alttestamentarische Gott der Rache, der den Königen furchtbar ist und den Geist
der Fürsten hinwegnimmt –
    Er spürte einen Schweißtropfen über seine Schläfe laufen, quälend
langsam. Unsicher blickte er in Urquharts Augen, ob es wirklich die Augen
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