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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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auf seine bescheidene Weise überlebte. Als
Jacop vor wenigen Monaten wieder nach Köln gekommen war, hatte er sich mit dem
Alten angefreundet, aber Richolf war kurz darauf gestorben, und so hatte Jacop
die Hütte bezogen. Damit besaß er, was in der Stadt bald nur noch spöttisch
Status muri genannt wurde – das Privileg, unter allen jämmerlichen
Daseinsformen zumindest eine leidlich trockene fristen zu dürfen, im Schutz
einer Mauer, die selbstverständlich nur für seinesgleichen errichtet worden
war.
    Jacops Mauerbogen lag nicht weit von der nova porta eigelis, abseits
genug, um den Männern des Burggrafen kein Dorn im Auge zu sein.
    Im Gegensatz zu Jacop, der fast nichts hatte, hatte sein Freund
Tilman gar nichts. Er schlief meistens am Entenpfuhl, der rückwärtigen Seite
einer Mauererweiterung aus dem zehnten Jahrhundert, die St. Maximin und St.
Ursula sowie die Klöster der Machabäer und Dominikaner umfasste. Dort gab es
keine schützenden Bögen. Die Gegend war elend. Im gemächlich abfallenden Graben
hatten sich faulige Tümpel gebildet, auf denen Enten dümpelten, dahinter ragten
Weiden und Pappeln aus dem Schlamm, dann begannen die ausgedehnten Obstgärten
der Klöster und Stifte. Es stank erbärmlich. Tilman pflegte zu sagen, dass es
sich am Fuße seiner Mauer wohl noch erbärmlicher stürbe als auf freiem Feld,
und unterstrich seine Ansicht mit einem bellenden Husten, der klang, als müsse
er sich über solche Fragen nicht mehr lange Gedanken machen.
    Als Jacop ihn nach einigem Suchen endlich fand, saß er mit dem
Rücken zur Mauer auf dem Pfuhl und schaute in den Himmel. Sein magerer Körper
steckte in einem langen, zerfetzten Hemd, die Füße waren mit Lumpen umwickelt.
Tilman hätte ein stattlicher Mann sein können, aber er war dürr wie ein
Stecken.
    Jacop setzte sich neben ihn. Eine Zeit lang betrachteten beide die
langsam treibenden Wolken.
    Am Horizont zog eine schwarze Wand herauf.
    Tilman hustete und drehte den Kopf zu Jacop. Seine geröteten Augen
musterten ihn von oben bis unten.
    Â»Steht dir«, meinte er.
    Jacop schaute an sich herunter. In den Kleidern seines
unfreiwilligen Wohltäters sah er immerhin aus wie ein einfacher Mann und nicht
mehr wie ein Bettler, ungeachtet des Ungetüms von Hut. Beim Gedanken an sein
Bad im Duffesbach musste er plötzlich lachen.
    Â»Ich war auf der Bach«, sagte er.
    Â»So?« Tilman grinste matt. »Möglich, dass ich auch mal auf die Bach
gehen sollte.«
    Â»Untersteh dich! Oder meinetwegen untersteh dich nicht. Man braucht
gewisse Eigenschaften, um in den Genuss solcher Geschenke zu kommen. Wenn du
verstehst, was ich meine.«
    Â»Verstehe. Wie heißt sie?«
    Â»Richmodis«, sagte Jacop stolz. Nur anständige Mädchen hießen
Richmodis.
    Â»Was tut sie?«
    Â»Ihr Vater ist Färber. Aber sie macht alles alleine.« Jacop
schüttelte den Kopf. »Tilman, das war eine vertrackte Geschichte. Ich kann dir
nur empfehlen, die Finger von den Fleischbänken zu lassen. Es steht ein Unstern
über allen Schinken und Würsten.«
    Â»Sie haben dich erwischt«, konstatierte Tilman nicht sonderlich
überrascht.
    Â»Sie haben mich über das halbe Forum gejagt! Ich musste am Ende auf
die Bach entweichen. Bin untergetaucht.«
    Â»Und Frau Richmodis hat dich rausgeangelt, was?«
    Â»Sie ist keine Frau.«
    Â»Was dann?«
    Â»Ein Geschöpf von höheren Gnaden.«
    Â»Du lieber Himmel.«
    Jacop dachte an ihre schwellende Figur unter den züchtigen Kleidern
und die schiefe Nase. »Und sie ist noch zu haben«, ergänzte er, als verkünde er
seine Vermählung.
    Â»Ach, Jacop.«
    Â»Na, und? Warum denn nicht?«
    Tilman beugte sich vor. »Wenn ich dir einen Rat geben darf, meide
das Forum ebenso wie die Bach und schlag dir den Wanst in nächster Zeit
woanders voll. Deinen Haarschopf erkennt man bis nach Aachen.«
    Â»Nur kein Neid! Ich hab bezahlen müssen für die Kleider.«
    Â»Wie viel?«
    Â»Viel.«
    Â»Gib nicht so an. Was besitzt du schon?«
    Â»Ich besaß. Drei Karotten und eine Rinderwurst.«
    Tilman ließ sich zurück gegen die Mauer sinken.
    Â»Das ist viel«, seufzte er.
    Â»Ja! Und dafür hätten sie mich fast in Stücke gerissen.« Jacop
gähnte gewaltig. »Nebenbei, wie läuft’s bei dir?«
    Â»Bei mir läuft gar nichts. Ich hab vor
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