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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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eines
Toten waren, wie Heinrich geflüstert hatte. Im selben Moment zwinkerte ihm sein
Gegenüber belustigt zu, und Mathias kam sich töricht vor. Urquhart spielte mit
Zitaten wie ein Possenreißer. Die Lebenden lebten, die Toten waren tot.
    Â»Wir sollten uns nicht zweimal am selben Ort treffen, habt Ihr
verstanden?«, sagte er eisig. »Morgen früh zur siebenten Stunde an St.
Minoriten.«
    Â»Wie Ihr wünscht.«
    Â»Enttäuscht mich nicht.« Damit ließ er den anderen grußlos stehen
und ging eilig den Weg zurück, den er gekommen war.
    Es galt klarzustellen, wer wem diente.
    Erst als er wieder auf der Dranckgasse war, beschlich ihn der
peinliche Gedanke, dass er eigentlich vor Urquhart davongelaufen war.
    Am Dom
    Natürlich war es eine
aberwitzige Idee.
    Aber Jacop hatte sich in den Kopf gesetzt, die erlauchtesten Äpfel
von ganz Köln in seinen Besitz zu bringen, und die gehörten nun mal Konrad von
Hochstaden, Seiner erzbischöflichen Eminenz, Kriegsherr von Friedrichs Gnaden
und zugleich Mentor des Gegenkönigs Wilhelm von Holland, kurz, ein äußerst
mächtiger und unbequemer Mensch.
    Um an diese Äpfel zu gelangen,
bedurfte es einer Visite des erzbischöflichen Baum- und Tiergartens. Er lag
zwischen Konrads Palast und dem aufstrebenden neuen Domchor, genauer gesagt ein
Stück hinter beiden. Natürlich war die Anlage von einer Mauer umgeben und
verschlossen. Bezüglich der Tiere erzählte man sich in Köln die aberwitzigsten
Geschichten, etwa, dass Konrad sich Löwen halte und sogar ein sagenumwobenes
Tier namens Elephantus mit einer teuflisch langen Nase und baumstammartigen Füßen.
Tatsächlich lungerten zwischen den schwer tragenden Obstbäumen aber vornehmlich
Pfauen und Fasane herum, die nicht nur schön anzusehen waren, sondern bei
Bedarf auch ihren Weg in den erzbischöflichen Magen fanden, und das war,
abgesehen von einigen Dutzend Eichhörnchen, das ganze Wunder.
    Der einzige Weg in Konrads
privates Paradies führte also über die Mauer. Die einzige Stelle wiederum, an
der man es wagen konnte, einzudringen, war die Große Sparergasse. Der Name war
denkbar unpassend. Die Gasse war winzig, fast ein Wurmloch zwischen dem
Baugelände des Doms und dem Garten. Ihr einziger Daseinszweck schien darin zu
bestehen, vom Domhof zu St. Maria ad Gradus und dem Margaretenkloster zu
führen, die beide hinter dem Kapellenkranz des Doms gelegen waren. Die Gasse
war beiderseits ummauert, zu hoch, als dass man sie ohne Leiter hätte überwinden
können.
    Aber das nutzte nichts. Nicht gegen Jacop den Fuchs.
    Denn hier ragten aus dem erzbischöflichen Garten ein paar uralte,
stattliche Apfelbäume weit über die Gasse und das angrenzende Baugelände
hinaus. Die höheren Äste wiesen geradewegs auf den Dom, darunter bogen sich
knorrige Arme tief genug in die Sparergasse, um sie mit beiden Händen mühelos
zu erreichen und sich daran hochzuziehen.
    Er musste genau genommen also nicht mal in den Garten. Andererseits
hatte es die Natur in ihrer Boshaftigkeit so eingerichtet, dass nur der in den
Genuss der Früchte kam, der ausgezeichnet klettern konnte. Einige versuchten es
immer wieder, aber die meisten hingen dann wie die Fledermäuse an den Ästen und
schafften es nicht, Halt zu finden, bevor die Gewaltrichter oder
erzbischöflichen Schergen sie wieder herunterpflückten. So hielt sich der
Apfeldiebstahl in Grenzen, und erst vor kurzem hatte Konrad weitere Vergehen
unter drastische Strafen gestellt. Seitdem war überhaupt nichts mehr passiert.
    Jacop gedachte das zu ändern.
    Er stand unter den Ästen und wartete. Inzwischen war es nach sieben.
Eben ging die Sonne unter. Obgleich die schwarze Regenfront unerbittlich näher
rückte, hatte der Abend noch reichlich Licht am Himmel verteilt. Böiger Wind
kam auf. An der Dombaustelle legten die Handwerker ihre Arbeit nieder und
begaben sich nach Hause. Es war sinnlos, ihn weiterzubauen, wenn es zu dunkeln
begann, man machte nur Fehler und musste am nächsten Tag von vorne beginnen.
    Plötzlich, von einem Moment auf den anderen, war die Gasse wie
leergefegt.
    Jacop spannte die Muskeln, ging leicht in die Knie und stieß sich
kraftvoll ab. Seine Hände umfassten den unteren Ast. Ohne in der Bewegung
innezuhalten, bog er seinen Körper nach oben, immer weiter und höher, ging in
die Grätsche und saß im nächsten Augenblick
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