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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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Mariengarten gesessen, aber
es waren Pilger dort, die haben abkassiert bei den ehrwürdigen Schwestern, Gott
trete sie in den Arsch allesamt! Es wimmelte vor Fremdbettlern und Betrügern,
die Gebrechen vortäuschen, dass selbst der Barmherzigste das Geben leid wird,
was soll man denn da machen? Einige andere liefen mit der Klapper durch die
Stadt und sammelten für Melaten. Da bin ich weg. Ich will nicht auch noch die
Lepra bekommen, dass einem die Hand beim Betteln abfällt.«
    Â»Verständlich. Hast du gegessen?«
    Â»Aber sicher. Ich war beim Bürgermeister eingeladen. Es gab
Regelsberen, Wildschwein und gefüllte Tauben –«
    Â»Also nichts.«
    Â»Schlaumeier. Seh ich aus, als hätt ich was gegessen?«
    Jacop zuckte die Achseln. »Hab ja nur gefragt.«
    Â»Aber trinken werde ich«, rief Tilman triumphierend. »Heute Abend in
der Henne!«
    Â»Im Brauhaus zur Henne?«, fragte Jacop skeptisch.
    Â»Ebenda.«
    Â»Seit wann hast du Geld fürs Brauhaus?«
    Â»Habe ich nicht, du Esel, sonst hätte ich’s wohl verfressen. Aber
einer, den ich kenne, hat was. Frag bloß nicht, woher, ich will’s selber nicht
wissen. Er will’s aber wieder loswerden, sagt, Geld kann man nicht saufen, also
hat er mich und ein paar andere eingeladen, uns die Kehle anzufeuchten.«
    Â»Dein Mann muss einen hohlen Kürbis haben. Wann?«
    Â»Zur sechsten Stunde. Weißt du was? Komm einfach dazu, der lässt
sich schon nicht lumpen.«
    Der Gedanke war verlockend.
    Â»Weiß nicht«, sagte Jacop trotzdem. »Erst muss ich was Handfesteres
auftreiben.«
    Â»Ah! Auch noch nichts gegessen?«
    Â»Keinen Bissen.«
    Â»Was machst du dich auch an Würste ran! Warum bist du nicht auf den
Alter Markt gegangen und hast ein paar Äpfel zum Mitkommen überredet?«
    Â»Warum?« Jacop holte tief Luft. »Weil ich gestern Äpfel hatte. Weil
ich vorgestern Äpfel hatte. Weil ich davor Äpfel hatte und Äpfel vor dem Davor,
und vor dem Davor des Davor hatte ich ebenfalls Äpfel! Kann es sein, dass
selbst ein armseliger Hund wie ich mitunter das Gefühl bekommt, er sei eine
Apfelmade?«
    Â»Du bist zu wählerisch.«
    Â»Na, vielen Dank.«
    Wieder schwiegen beide eine Zeit lang. Der Himmel zog sich weiter
zu. Der Nachmittag schlich träge auf den Abend zu.
    Â»Nichts zu beißen also.« Tilmans Quintessenz klang nüchtern. »Wie
immer.«
    Er hustete.
    Es war dieses Husten. Beiläufig, endgültig. Jacop sprang auf und
ballte die Fäuste.
    Â»Also gut! Apfel!«
    Tilman sah ihn lange an. Dann lächelte er.
    Â»Also gut. Äpfel.«
    Mathias
    Nördlich der Fragmente des
alten Doms verlief die Römermauer entlang der Dranckgasse. Einen Teil der Mauer
hatte man bereits abgerissen, wo der mächtige Chor des neuen Doms von der
altgewohnten Topographie Besitz ergriff. Aber nach wie vor flankierte ein Rest
der römischen Mauer das alte Atrium.
    Mathias war am Rheinufer entlangspaziert, hatte ohne besondere Hast
das Entladen der Niederländer Schiffe verfolgt, die Pfeffer, Gewürze und
Heringstonnen brachten, war dann am Frankenturm vorbei bis zur der Stelle
gegangen, wo am Alten Ufer die Höfe begannen, und in die Dranckgasse
eingebogen. Vor ihm zur Linken ragte der Kapellenkranz des neuen Doms empor,
und Mathias fühlte Beklommenheit in sich aufsteigen.
    Er kannte Gerhards Pläne. Was hier entstand, war, vorausgesetzt, es
wurde jemals fertig, die perfekte Kirche, das Himmlische Jerusalem auf Erden.
Alleine die Fassade mit den beiden Turmgebirgen hatte der Dombaumeister auf
viereinhalb Metern Pergament niedergelegt, und Mathias hatte ihn gefragt, ob er
sich seiner Sterblichkeit bewusst sei.
    Gerhard hatte ihm geduldig zu erklären versucht, welche Konsequenzen
eine fünfschiffige Choranlage nach sich zog, dass er einfach keine andere Wahl
hatte, als die ganze riesige Kirche in einem einzigen genialen Wurf
niederzulegen, getreu den Vorbildern von Paris und Bourges. Auch wenn Mathias
nicht genau verstand, was er meinte, stellte er das Wort des Dombaumeisters
nicht in Frage. Gerhards Wanderjahre hatten ihn auf das Hochgerüst der
Kathedrale von Troyes geführt und auf die Bauplätze von Paris. Die vielgerühmte
Sainte Chapelle, die im Hofe des Justizpalastes in die Höhe wuchs, hatte er
genauestens studiert. Als der Chor von Amiens entstand, galt sein Wort bereits
mehr als das mancher
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